Dunkle Ernte
mittleren Alters, mittlerer Größe, im grauen Anzug mit grauen Haaren und einem Aktenkoffer voller Bargeld als Anzahlung. Einem Mann, der so durchschnittlich war, dass man ihn kaum beschreiben konnte. Obwohl er bewusst versucht hatte, sich die Züge des Mannes einzuprägen, fiel es ihm schwer, sich das Gesicht ins Gedächtnis zu rufen. Er sah aus wie unzählige andere weiße US -Amerikaner.
Wahrscheinlich war genau das der Grund gewesen, warum ausgerechnet er ihn angesprochen hatte. Es war letzten Sommer gewesen, in Paris im Hotel Georges V. Monsieur Blanc hatte in der Hotelbar gesessen und Tomatensaft getrunken, um die Zeit bis zu seinem nächsten Termin mit einem israelischen Waffenhändler zu überbrücken. Der Amerikaner hatte von einer Gelegenheit gesprochen, von einer Chance für Monsieur Blanc, an hochmoderne biologische Waffen zu gelangen, an Systeme, die Erkenntnisse aus der synthetischen Biologie nutzten. Organische, zellbasierte Strukturen, gekoppelt mit komplexer Mikrochiptechnologie, in England entwickelt. Er hatte Monsieur Blanc seinen Vorschlag unterbreitet. Dass er zunächst abwarten solle, bis die Komponenten der Waffe getestet und ihren Wirten entnommen wären, und sie dann an einen afrikanischen Abnehmer verkaufen solle. Er würde angemessen dafür entlohnt werden, und das Geld, das er für den Verkauf der Module erzielen würde, könnte er in voller Höhe behalten. Um seine ehrlichen Absichten zu unterstreichen, hatte ihm der Mann eine fürstliche Anzahlung angeboten.
Monsieur Blanc kannte sich auf dem internationalen politischen Parkett gut genug aus, um zu wissen, dass das Angebot nicht so sauber sein musste, wie es klang. Dass er möglicherweise für eine großangelegte Spionageoperation benutzt wurde. Doch wenn die Bezahlung stimmte, war ihm das egal. Es wäre nicht das erste Mal, dass er mehr oder weniger direkt im Auftrag eines staatlichen Geheimdienstes tätig wurde, und wahrscheinlich nicht das letzte Mal. Und die Bezahlung war in Ordnung, mehr als in Ordnung. Sofort war das Gefühl wieder aufgekommen, das er in seinen Anfangsjahren in Paris kennengelernt hatte, das Gefühl von Macht und Unabhängigkeit, das mit einer gut gefüllten Geldbörse einherging.
War er umsichtig genug gewesen? Er kannte Clement Nbotou schon seit vielen Jahren. Der Mann war zwar ein Tyrann, aber ehrlich und unkompliziert, wenn es ums Geschäft ging. Er zahlte pünktlich, und man konnte deutlich besser mit ihm arbeiten als mit vielen anderen Milizenchefs oder südamerikanischen Drogendealern, mit denen Monsieur Blanc sonst zu tun hatte. Bislang war immer alles gutgegangen. Er hatte dem General nie faule Ware angedreht. Seine Waffen waren stets zuverlässig und günstig gewesen. Doch das hier war eine neue Technologie. Außerdem hatten die Amis die Idee gehabt, an Nbotou zu verkaufen. Warum ausgerechnet an ihn? In Monsieur Blancs Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sollte er über den Tisch gezogen werden? Steckte ein Konkurrent dahinter, der ihm eins auswischen wollte? Nein, dazu war die ganze Sache zu verwickelt, und zu viele Akteure hatten die Finger im Spiel. Da steckte etwas Größeres dahinter.
Er warf einen Blick über die Schulter auf den jungen Mann, der, von seinem Anfall erschöpft, eingeschlafen war. Irgendetwas an ihm machte Monsieur Blanc nervös. Wie er seinen Kopf hatte sinken lassen, halb zur Seite, die Augen geschlossen – die perfekte Haltung, um jedes Wort im Passagierraum belauschen zu können. Er schüttelte den Kopf. Vielleicht litt er allmählich unter Verfolgungswahn. Andererseits wäre es kein Fehler, auf alles vorbereitet zu sein, dachte er und löste seinen Sicherheitsgurt, um ihn zu einem Ball zusammenzurollen und durch einen seiner eigenen Verkaufsschlager zu ersetzen: einen leichten Segeltuchgürtel mit versteckten Taschen auf der Innenseite. Sie enthielten etwas Plastiksprengstoff, ein paar Unzen Gold und einen Peilsender, der im Notfall ein codiertes Signal mit seinen exakten Standortdaten an eine israelische Sicherheitsfirma senden würde. In ihren Verkaufsunterlagen versprach die Firma, binnen vierundzwanzig Stunden an jedem Ort der Welt zu sein. Es war die einzige Versicherung, die Monsieur Blanc jemals abgeschlossen hatte, und er hatte sie noch nie in Anspruch genommen. Er hoffte, dass er sie nicht brauchen würde, sobald sie im Kongo ankamen.
33
Archie Hartman sah in den Rückspiegel. Er war sicher, dass ihm jemand folgte, schon seit er den Flugplatz bei Cambridge
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