Dunkle Ernte
sofort gefallen, und der MI 6-Offizier war so geschockt gewesen, dass er nicht einmal aufschrie. Archie hatte die Automatikpistole mit seinen gefesselten Händen aufgefangen und, ohne einmal Luft zu holen, zwei Schüsse auf seine Entführer abgegeben. Binnen weniger Sekunden war er frei gewesen.
Erleichtert hatte er festgestellt, dass der jahrelange Suff seine Instinkte nicht dauerhaft zerstört hatte und seine Reflexe immer noch schnell genug waren. Früher hätten sie mich aber erst gar nicht in den Kofferraum gesteckt , hatte er reuig gedacht, und außerdem waren sie keine richtigen Militärs, sondern nur Geheimagenten gewesen. Aber immerhin hatte er es noch pünktlich zum Flughafen geschafft.
Archie sah auf die Abfluganzeige und ging dann in eine Buchhandlung, um sich mit Karten und Reiseführern über Burundi und die Demokratische Republik Kongo einzudecken. Auf dem Flug würde er sich so viel wie möglich anlesen, über Geografie, Sprachen und die verschiedenen ethnischen Gruppen und Gebräuche jeder Region. Es lohnte sich immer, gut vorbereitet zu sein. Man wusste nie, welcher Fetzen Information einem am Ende das Leben rettete. Seine einzige Sorge war, dass die Reichweite des Ortungsgerätes nicht ausreichte, um Jack zu finden.
40
Demokratische Republik Kongo, 1 km vor Nbotous Camp
Die Sonne kletterte immer höher, während die Schatten sich zurückzogen, als jagte ihnen die strahlende Hitze Angst ein. Der Jeep war mit einer Reifenpanne liegen geblieben. Gustavs Befürchtung, dass der Junge mit dem Fahren überfordert war, hatte sich als begründet erwiesen. Schon unweit des Flugfelds war er über einen scharfkantigen Steinbrocken gefahren, und die Erschütterung hätte sie fast in den nächsten Graben befördert.
Jetzt standen sie neben dem Wagen, während Gustav mit einem verrosteten Schraubenschlüssel vergeblich an den Radmuttern zerrte. Niemand sprach. Die Hitze war kaum auszuhalten. Irgendwann gelang es dem Russen, das Rad abzunehmen und den Ersatzreifen einzusetzen. Gustav fragte nicht lange um Erlaubnis, sondern hockte sich einfach hinters Steuer und ließ den Motor an. Die blutjungen Milizionäre protestierten nicht. Es war nicht damit zu rechnen, dass er sich auf dieser schmalen Piste mitten durch den Dschungel verfuhr.
»Gute Arbeit, Gustav«, sagte Monsieur Blanc und klopfte ihm auf die Schulter. Seit fünf Jahren war der Mann jetzt sein persönlicher Assistent. Er war zwar nicht der Hellste, aber dafür ein Arbeitstier, zuverlässig, stark und außergewöhnlich mutig.
Jack hatten sie hinten in den Jeep verfrachtet. Seine Seite tat immer noch weh, aber vor allem kämpfte er jetzt mit dem Plastikklebeband um seine Handgelenke und Knöchel. Einer der Kindersoldaten war neben ihn geklettert, der mit dem Fußballshirt. Achtlos spielte er mit dem Sicherungshebel seiner Kalaschnikow und stieß mit dem Lauf gegen die Bänder, die Jack gefesselt hielten. Wie alt mochte der Junge sein? Vielleicht zehn. Auf jeden Fall älter, als er wirkte, so verhungert und unterernährt, wie er aussah.
»Magst du Fußball?«, fragte Jack, und als der Junge die Stirn runzelte, versuchte er es mit: »Football, tu aimes ça?« Er deutete auf das ManU-T-Shirt und fragte sich, ob in dieser Region wohl noch Französisch gesprochen wurde.
Der Junge nickte schüchtern. »Wanwuni«, sagte er mit einem Nicken, machte eine kickende Bewegung mit den Fingern und warf sich in Jubelpose.
»Wanwuni?«, echote Jack. Was sollte das heißen? Er überlegte einen Augenblick. »Wayne Rooney?«, sagte er schließlich lachend.
» Oui, oui , Wan Runi, guter Spieler, sehr gut«, sagte der Junge mit einem Lächeln und war für einen Moment kein Kindersoldat, sondern ein fröhlicher kleiner Junge. Einer der älteren schrie ihm von vorne etwas zu. Jack hatte den Wortlaut nicht verstanden, aber die Bedeutung war klar. Der Junge sollte den Mund halten.
Die Kinder mussten alle drei anpacken, um das rostige Tor der alten Kolonialvilla zu öffnen. Gustav fuhr hindurch und parkte im Hof, so nah wie möglich am Haus. Verdammte Scheiße , murmelte er und sah sich um. Die Luft war drückend, es roch nach Tod. Zwei Jungen waren dabei, einen Affen zu häuten, und das sehnige rote Fleisch zog Myriaden von Fliegen an. Die Hände des Tieres waren von den Armen abgetrennt und beiseitegelegt worden und sahen aus wie ein Paar Kinderhandschuhe, allerdings mit heraushängenden Sehnen. Gustav spuckte angeekelt aus.
»Willkommen in der bescheidenen Hütte
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