Dunkle Ernte
und dann lag er nicht mehr horizontal in der Luft, sondern hing an den Schnüren des Fallschirms. Das Rauschen wurde schwächer, die Fallgeschwindigkeit ließ abrupt nach. Erleichtert zählte er neun weitere Fallschirme. Alle waren aufgegangen. Jetzt blieb nur noch zu hoffen, dass der Navigator die Position der Lichtung richtig berechnet hatte und sie nicht in den Baumkronen hängen blieben. Der Kongo schlängelte sich wie ein silbernes Band unter ihm durch die Dunkelheit. Rechter Hand glommen geisterhafte gelbe Lichter. Das musste Clements Camp sein. Wo war das Flugfeld? Aber zum Suchen blieb jetzt keine Zeit. Die Lichtung wurde sichtbar, ein grauer Kreis, der sich deutlich von der tiefen Schwärze des Dschungels abhob.
Die Fallschirme verschwanden einer nach dem anderen im Blätterdach. Die Männer setzten auf dem Boden auf und zogen sofort die Schirme zu sich heran. Als Ed an den Baumwipfeln vorbeischwebte, nahm er noch einmal Tempo heraus, kurz bevor seine Füße den Boden berührten – eine Landung wie aus dem Lehrbuch. Er lief ein paar Schritte, drehte sich um, zog den Fallschirm zu sich heran, wuchtete das Paket von den Schultern und packte es zusammen. Die Bedingungen für diesen Nachtsprung waren ideal gewesen: gute Sicht, kaum Wind und kein Regen. So weit, so gut. Aber das war erst der Anfang der Mission.
Mit raschen Schritten näherten sich die anderen Mitglieder des Teams. Ed deutete wortlos auf die Bäume, und sie sprinteten darauf zu, um im dichten Unterholz Deckung zu suchen.
Die beiden kleinen Späher starrten angestrengt in die Nacht. Sie waren nicht sicher, was sie da gerade gesehen hatten. Die Schatten, die sich kurz gegen die Wolken abgehoben hatten, waren längst verschwunden. Es war unmöglich zu sagen, was sie verursacht hatte. Die beiden kletterten von ihren Beobachtungsständen herunter und liefen zum Haus. Sollten sie den General damit behelligen? Den großen Boss? Einmal hatte er einen Jungen halb totgeschlagen, weil er ihn beim Blackjack unterbrochen hatte. Aber man wusste nie bei ihm. Es kam immer darauf an, wie viel er getrunken hatte.
Unsicher steuerten sie den Speiseraum an. Clements donnerndes Gelächter dröhnte durch den Flur. Seine Gäste stimmten nervös mit ein, wie schlechte Schauspieler in einem surrealen Stück. Der Junge, der auf dem Baum gesessen hatte, stieß die Tür auf. Er war ein Jahr älter als sein Freund und fest entschlossen zu zeigen, wie tapfer er war. Er stapfte auf den Esstisch zu und salutierte unbeholfen. Niemand beachtete ihn.
Clement hatte eine Flasche Whiskey geöffnet und goss gerade großzügig Gustavs Glas voll.
»Ich sage Ihnen, mein Freund, trinken Sie nicht von dem Jungle-Brew-Bier, davon wird man nämlich blind. Ich schwör’s bei Gott.« Er lachte laut. »Zumindest war das meine Ausrede, als mich Uko in Kinshasa mal in ein Luxusbordell geschleppt hat.«
Der Junge wusste nicht, was er tun sollte. Sollte er den Boss ansprechen oder sich lieber wieder aus dem Raum schleichen? »Sir, bitte, Sir«, sagte er leise, den Arm immer noch schief über dem Kopf haltend. Als der General nicht reagierte, trat er näher und tippte ihm leicht auf die Schulter.
Clement schnellte taumelnd herum, griff mit rollenden Augen nach seiner Pistole und kippte dabei fast vom Stuhl. Der Junge wich nervös zurück, während sein Freund sich mit dem Rücken gegen die Tür drückte. Clement hievte sich unsicher auf die Beine und hielt sich mit einer Hand an der Tischkante fest.
Die Pistolenmündung schwankte unentschlossen zwischen den beiden Kindern hin und her. »Ich könnte schwören, hier sind zwei von euch. Ich muss betrunkener sein, als ich dachte!« Mit dröhnendem Gelächter schob er die Waffe zurück ins Halfter. »Und jetzt, Soldat, sag mir, was du am Himmel gesehen hast«, befahl er und legte eine Hand schwer auf die Schulter des Jungen.
»Ich weiß nicht, Sir. Da war etwas vor den Wolken. Ein Flackern. Wir haben es beide gesehen.«
Clements Augen verengten sich. »Ein Flackern?«, wiederholte er. »Senkrecht oder waagrecht über den Himmel?«
Der zweite Junge trat vor. Offenbar drohten ihnen keine Prügel. »Senkrecht«, sagte er beflissen. »Aber nur eine Sekunde lang.«
Clement nickte. Trotz beachtlicher Mengen Alkohols im Blut konnte er immer noch erstaunlich klar denken. »Nehmt zwei von den Jungs mit, zwei von den jüngeren. Zieht keine Militärkleidung an. Geht ohne Waffen und Messer. Nehmt nur ein paar Stöcke mit. Rennt dorthin, wo ihr die
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