Dunkle Ernte
hinunterzuwürgen und über seine Witze zu lachen erforderte mehr diplomatisches Geschick, als er aufzubringen vermochte.
Als er Jacks Zimmer betreten wollte, hörte er ein leises Wimmern vom anderen Ende des Flurs, wie von einem verletzten Tier. Er ging darauf zu und zog an einer schweren Holztür, die schief in den Angeln hing. Einen Augenblick lang fürchtete er, sie wäre verschlossen, doch sie ließ sich nur so schwer bewegen, weil sie völlig verzogen war. Clement sperrte seine Türen nicht ab; es gab ohnehin nichts, was sich zu stehlen lohnte.
Die Laute verstummten, als er die Tür öffnete. Neben dem Fenster schnappte jemand kurz nach Luft. In einer Ecke des Raums entdeckte Monsieur Blanc eine schmale Gestalt. Ein junges Mädchen, fast noch ein Kind. Er wusste, dass Clement Entführungen und Vergewaltigungen systematisch einsetzte, um die verbliebenen Reste der einheimischen Bevölkerung einzuschüchtern.
Er trat auf das Mädchen zu. »Schon gut, schon gut, ça va, ça va «, sagte er leise und so beruhigend, wie er konnte, mit vorgestreckten offenen Händen. Das Mädchen wich, so weit es ging, in die Ecke zurück. Sie war am Bett festgebunden. Ein Kabel schnitt in ihre Haut über dem Knöchel. Ohne zu überlegen, zog er sein Taschenmesser heraus und schnitt die Fessel durch. Einen Erwachsenen hätte er zurückgelassen, der hätte sich selbst wehren können, aber ein Kind? Er konnte sie unmöglich Nbotou überlassen. Die Gesichter der Nonnen aus der Mission in Shanghai erschienen vor seinem geistigen Auge und rechtfertigten seinen Entschluss.
Er nahm das Mädchen am Arm, zog sie in die Streifen orangegelben Lichts, das durch die Schlagläden fiel, und musterte rasch ihren Körper. Ein spärlicher Fetzen von einem Kleid bedeckte sie notdürftig, Arme und Beine verunstalteten hässliche Striemen von den Schlägen, die sie bekommen hatte.
Kopfschüttelnd sagte er: »Komm … viens «, nahm sie an der Hand und führte sie zur Tür hinaus.
Sie ließ sich widerstandslos mitnehmen. Aus irgendeinem Grund wirkte dieser fette kleine Mann nicht bedrohlich auf sie. Vielleicht war es sein Blick oder der Klang seiner Stimme.
Monsieur Blanc hatte sich noch nicht überlegt, was er mit ihr anstellen würde. Was er Clement sagen würde. Das Wichtigste war, sie erst einmal aus diesem Zimmer zu holen.
»Wohin bringst du mich?«, fragte sie.
Er war überrascht, dass sie Englisch sprach. Lächelnd hob er eine Schulter. »Ich weiß nicht. Nach Hause vielleicht? Wo wohnst du?«
Das Mädchen zuckte die Achseln. »Weit weg.«
Monsieur Blanc nahm wieder ihre Hand und führte sie den Flur entlang. Er klopfte an dem Zimmer, wo Jack festgehalten wurde. Es kam keine Antwort. Er klopfte erneut. Ein kleiner Junge öffnete die Tür einen Spaltbreit. Monsieur Blanc schob ihn beiseite und betrat den Raum.
Jack hob mühsam den Kopf und hievte sich auf die Ellbogen. Der Junge mit der Waffe schrie etwas mit hoher Kinderstimme. Monsieur Blanc scheuchte ihn weg.
»Haben Sie es gehört?«, fragte Jack mit derselben heiseren Stimme, die er gehabt hatte, als er aus dem Labor entflohen war.
»Ob ich was gehört habe?«, fragte Monsieur Blanc zurück, einerseits verwirrt, andererseits erleichtert, dass der Junge lebte und Fragen stellen konnte.
»Flugzeugtriebwerke, Turboprops, den Sound der Hercules. Die britische Armee schickt uns schwere Geschütze. Ich schätze, morgen früh wimmelt es hier von Soldaten.«
Monsieur Blanc trat auf ihn zu und wackelte mit dem Finger. »Sie reden wirres Zeug. Ich habe nichts gehört. Das wäre mir aufgefallen.«
Jack lehnte sich wieder zurück. »Wie Sie meinen. Sie müssen mir nicht glauben. Ich nehme an, Nbotou hat keine Möglichkeit, die Module hier zu testen, sonst hätte er Sie längst an Ihren Eingeweiden an dem Affenbrotbaum im Hof aufhängen lassen.« Ihm fiel das Mädchen ins Auge, das ängstlich hinter dem Chinesen stand. »Wer ist Ihre kleine Freundin da?«
»Niemand. Nur ein Kind, das Nbotou zum puren Vergnügen gequält hat.«
»Was haben Sie mit ihr vor?«, fragte Jack und runzelte die Stirn.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Monsieur Blanc und wischte sich erschöpft den Schweiß von der Stirn. »Sie hier rausbringen«, fügte er schwach hinzu.
»Oh, ein großer Wohltäter. Man sollte Sie zum UNICEF -Gesandten ernennen«, bemerkte Jack sarkastisch.
»Halten Sie um Himmels willen den Mund«, erwiderte Monsieur Blanc gereizt. »Wie muss man Sie eigentlich noch behandeln, damit Sie
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