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Dunkle Ernte

Dunkle Ernte

Titel: Dunkle Ernte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mockler
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nämlich in Hüfthöhe hoch.«
    Immer wenn er wichtige Gäste hatte, ließ Clement im Speisezimmer anrichten, wo an den Wänden trübe, gesprungene Spiegel hingen und Lianen sich durch Risse in den Fensterrahmen wanden wie grüne Tentakel, die das Haus umschlingen wollten. Sie veranschaulichten bildhaft, dass der Kongo keine Gegend war, in der sich eine Kolonialmacht lange halten konnte.
    Keiner von ihnen achtete auf das entfernte Grollen über den Wolken, dazu waren sie viel zu sehr an Flugzeuglärm gewöhnt. Keiner außer Clement. Es klang nach einer großen Turboprop-Maschine. Aber sie lagen nicht auf einer offiziellen Flugstrecke, weder nach Kinshasa noch nach Kampala in Uganda. Gelegentlich kamen Hilfsflugzeuge vorbei, aber die landeten meist auf dem Militärstützpunkt im Westen des Kongo. Er machte einem der Jungen, die bedienten, ein Zeichen. »Ihr geht sofort zu zweit raus und beobachtet den Himmel«, befahl er, »einer aufs Dach, einer auf den Baum. Los, los!«
    Der Junge nickte und sauste aus dem Zimmer. Der Baum, den sie als Beobachtungsstand nutzten, stand am Ende des Hofes. Er kletterte hoch und rief einem seiner Kameraden zu, auf das Hausdach zu steigen. Der Flugzeuglärm war erstorben, irgendwo in westlicher Richtung. Angestrengt sah er zum Nachthimmel hoch und versuchte im letzten Licht des Tages etwas zu erkennen. Nichts. Vom anderen Ausguck her pfiff es, der zweite Junge war bereits auf dem Dach, hielt sich am Schornstein fest und deutete mit einem erneuten Pfiff nach Osten. Der Junge im Baum spähte in die angezeigte Richtung. Für den Bruchteil einer Sekunde erschien vor einer Wolke ein Fleck, ein huschender Schatten. Dann noch einer. Zwei weitere. Vielleicht ein paar Vögel. Wahrscheinlich nichts von Bedeutung. Sie blieben auf ihren Posten und spähten, aufmerksam horchend, weiter in den Himmel.
    In seinem Zimmer im ersten Stock hatte Jack den Flugzeuglärm ebenfalls gehört. Er war zwar stark dehydriert und geschwächt von der Gluthitze und der improvisierten OP des Chinesen, aber das charakteristische Dröhnen der vier Propellertriebwerke hatte er sofort erkannt: eine Hercules. Wer auf Militärstützpunkten aufgewachsen war, kannte das Geräusch. Er lauschte angestrengt. Es wurde leiser, dann wieder lauter. Hatte der Wind die Richtung gewechselt? Oder hatte das Flugzeug abgedreht? Den Kurs geändert? Im Prinzip konnte es nur einen Grund geben, warum es abdrehte: Es hatte Ladung abgeworfen.
    Mit Mühe hob er den Kopf, um besser hören zu können, doch etwas Kaltes stieß gegen seine Brust. Ein schwarzes, glänzendes Rohr in den Händen eines kleinen Jungen, der ihn konzentriert anblickte. Die Waffe war so schwer, dass seine Arme unter dem Gewicht zitterten. Jack lehnte den Kopf wieder zurück, und der Druck des Pistolenlaufes ließ nach. War das eine Rettungsmission? Er wagte nicht daran zu glauben.
    »Nun, Clement, herzlichen Dank für Ihre Gastfreundschaft«, sagte Monsieur Blanc und stand von der Lattenkiste auf, die man ihm zum Sitzen gegeben hatte. »Aber ich denke, ich sollte noch mal nach dem Jungen sehen. Nicht dass er inzwischen zu sich gekommen ist.« Einen Augenblick später fügte er hinzu: »Oder gestorben ist …«
    »Selbstverständlich«, erwiderte Clement gut gelaunt. »Aber nachher spielen wir zusammen eine Runde Blackjack. Mal sehen, ob Sie das Geld zurückgewinnen können, das ich Ihnen letztes Mal abgenommen habe.«
    »Das bezweifle ich«, sagte Monsieur Blanc und trank den letzten Schluck von seinem Bier, das in dem schwülen Speiseraum rasch warm geworden war und unangenehm bitter schmeckte.
    Draußen im Flur kühlte ein Luftzug, der durch die offene Tür drang, die Schweißperlen in seinem Nacken. Er dachte wieder an Jacks Warnung und wie das Modul implantiert gewesen war. Da gab es Fragen, auf die er dringend Antworten brauchte.
    Eilig wuchtete er seine Leibesfülle die Stufen der Marmortreppe zum ersten Stock hoch, und die körperliche Anstrengung in dieser feuchten Hitze trieb ihm erneut den Schweiß auf die Stirn. Wie er den Dschungel hasste. Er konnte es gar nicht erwarten, Clements gottverlassenem Höllenloch zu entrinnen und in sein Pariser Palais oder das Château in der Nähe von Poitiers zurückzukehren. Geld verdienen konnte man in diesem Geschäft, und meistens machte ihm die Arbeit sogar Spaß. Aber Clements falsche Jovialität strapazierte seine Geduld. In Wahrheit war der Mann eine Bestie. Mit ihm an einem Tisch zu sitzen, seinen unverdaulichen Fraß

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