Dunkle Ernte
besser, wenn Sie mir die Waffe geben. Dann können Sie sich aufs Fahren konzentrieren«, schlug Jack vor.
Gustav schüttelte den Kopf. »Keine Sorge, ich kann gleichzeitig fahren und schießen.«
Im fahlgelben Kegel der Scheinwerfer erschien schwitzend und schwer atmend Monsieur Blanc. Sein Leinenanzug war schweißnass und klebte ihm am Körper. Auf dem Rücken trug er einen großen Rucksack und über jeder Schulter eine Waffe. Jack war beeindruckt, dass er es so weit geschafft hatte. Bislang hatte der Chinese auf ihn gewirkt, als könnte er größere Strecken nur mit Hilfe eines Dessertwagens überwinden.
»Meine Güte, Gustav, Gott sei Dank sind Sie da. Ich fürchtete schon, Sie wären nicht weggekommen.«
Neben ihm stand das Mädchen aus dem Lager, einen Patronengürtel über der Schulter. Sie wirkte ruhig und gefasst und trotz des langen Marsches nicht im Geringsten angestrengt.
»Komm, Florence. Wir fahren noch ein Stück mit dem Auto, bis die Piste zu schlecht wird.« Er hielt ihr die Hand entgegen, um ihr helfen, doch sie schwang sich leichtfüßig in den Wagen, drehte sich zu ihm um und streckte ihm mit schüchternem Lächeln ihrerseits die Hand hin. Monsieur Blanc war nicht zu stolz, das Angebot anzunehmen. »Unglaublich«, sagte er. »Sie kann die halbe Nacht marschieren, jemandem ins Auto helfen, der doppelt so groß ist wie sie, und gerät nicht mal ins Schwitzen.« Er wischte sich mit einem bereits triefenden Taschentuch die Stirn und quetschte seine Leibesfülle neben sie auf die Sitzbank.
»Fahren Sie, Gustav, die Gegend ist nicht sicher«, sagte er und nahm den Rucksack ab. »Sobald wir Nbotous Ter ritorium verlassen haben, sind wir im Bezirk Nord-Kivu. Die Miliz dort ist kein Stück weniger grausam und skrupellos« – er unterbrach sich und fing an, in seinem Gepäck zu wühlen –, »aber zum Glück für uns längst nicht so gut organisiert.« Er fischte eine Waffe aus dem Rucksack und reichte sie Jack. »Ich hoffe, Sie wissen, wie man damit umgeht. Wenn nicht, halten Sie einfach drauf, aber sehen Sie zu, dass Sie um Himmels willen keinen von uns treffen.«
Jack drehte die Beretta in der Hand. Es war lange her, dass er zuletzt eine benutzt hatte. Ihm fiel ein, wie er mit seinem Vater zum Schießstand gefahren war, kurz nachdem seine Mutter ausgezogen war. Unfähig, ihrem Schmerz auf andere Weise Ausdruck zu verleihen, hatten sie den Pappkameraden die Herzen herausgeballert.
»Ich weiß, wie man damit umgeht, Monsieur Blanc. Aber wieso die Planänderung? Ich dachte, ein Helikopter kommt Sie heute Abend vom Flugfeld abholen …«, sagte er über die Schulter.
Der Wagen prallte gegen eine Unebenheit auf der Piste, und es krachte so laut, als wäre eine Achse gebrochen.
Monsieur Blanc hob eine Braue. »Ich habe Ihnen geglaubt, Jack, das ist alles. Nicht sofort natürlich. Anfangs dachte ich noch, Sie bluffen. Aber dann habe ich das Modul aus Ihnen entfernt und entdeckt, dass es nicht verwachsen war, dass Sie mitnichten ein Wirt waren, dass das Ding nur des Showeffekts wegen implantiert worden war. Da bekam ich Zweifel. Und genau wie Sie erkenne ich sofort den Klang einer Hercules, selbst auf mehrere Kilometer Entfernung.« Er wischte sich wieder die Stirn. »Wer seiner Intuition zweimal misstraut, ist selbst schuld.«
Es hatte zu regnen begonnen. Dicke Tropfen kühlten die warme Luft.
»Sie haben etwas anderes organisiert?«, fragte Jack.
Monsieur Blanc nickte. »Nicht weit von hier, rund vierzig Kilometer entfernt, ist eine Lichtung. Wir fahren so weit wie möglich und gehen dann zu Fuß weiter. Sie sind herzlich eingeladen, sich uns anzuschließen, aber ich sage Ihnen gleich: Im Helikopter ist kein Platz für Sie.«
Jack nickte. Damit hatte er gerechnet. Er wunderte sich ohnehin, dass der Chinese ihn mitgenommen hatte. »Warum haben Sie mich nicht einfach im Camp zurückgelassen?«, fragte er vorsichtig, als könnte Monsieur Blanc seine Entscheidung im letzten Moment rückgängig machen.
Der dicke Asiate runzelte die Stirn und setzte ein beinahe verlegenes Lächeln auf. »Ich glaube, dass Sie mir mit Ihren Hinweisen das Leben gerettet haben. Also tue ich alles, um Ihnen das Ihre zu retten. So weit es eben geht.« Er hielt inne und lachte lautlos in sich hinein. »Nach meiner Erfahrung sieht das Universum diese Art von ungesühnter Schuld gar nicht gern. Halten Sie mich ruhig für abergläubisch.«
Abergläubisch? Nein. Eher für komplett durchgeknallt , dachte Jack. Er drehte sich um
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