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Dunkle Ernte

Dunkle Ernte

Titel: Dunkle Ernte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Mockler
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Panik geflohen, denn sie können nicht kämpfen, wenn sie ihren Feind nicht sehen.«
    Nbotou spürte Wut in sich aufsteigen. Uko, sein Stellvertreter, war in die Speisekammer gekommen, um einen Lagebericht abzugeben.
    »Als Nächstes werden sie versuchen das Haus einzunehmen«, fuhr Uko fort.
    »Wie viele Männer hast du im Innern postiert?«, wollte Nbotou wissen.
    »Zwei Divisionen. Etwa zweihundert Soldaten.«
    Nbotou schüttelte den Kopf und nagte an seiner Unterlippe. »Zweihundert? Bist du wahnsinnig? Ein paar Mörser und Granaten, und die Hälfte davon ist weg vom Fenster. Hör zu, Uko«, sagte er und legte einen Finger an den Mund. Draußen herrschte unheilvolle Stille. »Der Beschuss am Rollfeld hat aufgehört. Das heißt, sie bereiten sich auf den Angriff vor.«
    Nbotou langte unter den Tisch und zog die Falltür auf. Ehe er hinunterstieg, wandte er sich um und legte seinem Kameraden eine Hand auf die Schulter. »Du musst hierbleiben und das Camp verteidigen. Ich werde nur meine Leibgarde mitnehmen und mich draußen im Dschungel mit Otope treffen. Haltet sie auf, solange ihr könnt. Wir werden das Camp umstellen und sie von außerhalb erledigen.« Salutierend verschwand er in dem Gang, gefolgt von den zehn kampferprobten Männern seiner Leibgarde.
    Er wusste, es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis die fremden Soldaten in das Haus eindrangen, und er wusste, dass es keinen Sinn haben würde, sich ihnen entgegenzustellen. Gegen einen Guerillaangriff musste man sich mit List und Tücke wehren, eine andere Chance gab es nicht. Das Fundament des Hauses war mit Sprengstoff vermint. Sobald er weit genug weg war, würde er den Zünder aktivieren. Es tat ihm leid, den alten Kasten zu zerstören. Das Anwesen war genau das Richtige für ihn gewesen, und er hatte dem Bau durchaus Respekt gezollt. Aber diese Angreifer waren keine normalen Soldaten. Es war nicht die Art von Armee, die sich diszipliniert in Reihen aufstellte und lehrbuchmäßig Schüsse auf den Feind abfeuerte. Sie gehörten zu der Sorte, die sich tagelang in Bäumen versteckte, um sich dann bei Nacht anzuschleichen und einem im Bett die Kehle durchzuschneiden, und zwar so lautlos, dass nicht einmal die eigene Leibgarde etwas bemerkte. Nein, gegen diese Männer half es nicht, offen zu kämpfen. Man musste sie ins Haus locken, sie glauben machen, sie hätten gewonnen, und dann das Gebäude auf sie herabstürzen lassen. Leider würden dabei auch seine eigenen Leute draufgehen. Aber das nahm er in Kauf. Im Ost-Kongo ließen sich Soldaten leicht ersetzen.
    In dem Moment, in dem er um die Kurve bog, wusste Gavin McCallister, dass es vorbei war. Eine ganze Division von Soldaten stürmte auf sie zu. Es war keine gute Idee von ihm gewesen, die Straße zu nehmen, statt sich querfeldein durch den Dschungel zu schlagen. Er hatte der schnellen Alternative den Vorzug vor der sicheren gegeben, weil er so rasch wie möglich die anderen erreichen wollte. Ein kalkuliertes Risiko, das sich als fataler Irrtum erwies.
    Nbotous Soldaten verharrten für den Bruchteil einer Sekunde, dann legten sie an. In der ersten Salve fielen sofort zwei von Gavins Männern. Es hatte keinen Sinn, das Feuer zu erwidern, es waren viel zu viele. Gavin stürzte sich ins Unterholz und spürte das brennende Stechen einer Kugel, die in Fleisch eindrang, heiß und kalt gleichermaßen. Zwanzig Meter lagen zwischen ihm und den sich nähernden Milizionären, binnen Sekunden wären sie bei ihm. Schon kamen die Schritte von der Stelle, an der er eben noch gestanden hatte. Er schleppte sich tiefer in den Dschungel hinein, mitten durch die dichte Vegetation, und blickte über die Schulter zurück. Er konnte immer noch die Straße sehen, wo seine Kameraden bereits von Kugeln niedergestreckt worden waren. Zwei Soldaten zückten ihre Macheten und trieben sie in die Leichen, schlitzten die Leiber auf und verstümmelten sie. Mit mechanischen, ritualisierten Bewegungen rieben sie sich das warme Blut auf ihre Gesichter. Einer von ihnen zeigte auf den Weg, auf Gavins rötlich braune Spuren, die ins Unterholz führten.
    Raschelnd kamen sie näher, die Schusswaffe in der einen, die Machete in der anderen Hand. Gavin hatte Messer immer gehasst, und er wusste genau, dass er von diesen Gegnern keinen raschen Tod erwarten konnte. Sie würden ihn erst in aller Ruhe aufschlitzen und ihm seine Eingeweide zeigen, ehe sie ihm den Rest gaben. Er zog eine Handgranate vom Gürtel. Sie fühlte sich sonderbar beruhigend an.

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