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Dunkle Flut

Dunkle Flut

Titel: Dunkle Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul S. Kemp
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ausgefallen war. Die Notbeleuchtung tauchte die Gänge und Räume in trübes Licht.
    Läufer schlug mit der Handfläche gegen die Aktivierungsschalter, aber die Hauptbeleuchtung blieb aus. Er stieß Khedryn durch die dunklen Korridore vor sich her. Khedryn kam es kaum in den Sinn, sich zu widersetzen, vielleicht zu versuchen, Läufer zu überrumpeln. Das wäre vergebliche Liebesmüh. Seine Hände waren gefesselt, und er hatte keine Waffe. Abgesehen davon: Wenn er sich zur Wehr setzte, würde Läufer ihn mit einem Lichtschwert töten, und Khedryn wollte nicht durch die Klinge eines verrückten Klons sterben. Da zog er das Vakuum des Weltalls jederzeit vor.
    Beim Gehen hatte Khedryn das Gefühl, als würde er sich in einen Tunnel begeben, in eine Gebärmutter, aus der er nicht geboren werden, sondern in der er sterben würde. Chaotische Gedanken wirbelten durch seinen Kopf, ein Ansturm von Erinnerungen: Seine Zeit als Kind in den Trümmern des Extragalaktischen Flugprojekts, das Gesicht seiner Mutter, seine Freunde, seine Feinde, Männer und Frauen, die er getroffen hatte, sein Leben, das sich mit ihrem überschnitt. Das alles hatte dazu beigetragen, ihn zu dem zu machen, der er war.
    Leute sind keine Gleichungen , hörte er Marr im Geiste sagen.
    Nein, dachte er und lächelte. Die Leute waren die Gesamtsumme ihrer Interaktionen mit anderen Leuten, der Entscheidungen, die sie trafen. Er hatte in seinem Leben einige schlechte Entscheidungen getroffen, aber auch viele gute.
    Auf die Schottwand gemalte Worte und Pfeile wiesen ihnen den Weg zur Luftschleuse, die Richtung zu Khedryns Exekutionskammer.
    »Geh weiter«, knurrte Läufer.
    Khedryn war nicht bewusst gewesen, dass er langsamer geworden war. Seine Beine unter ihm fühlten sich schwächer an. Sein Atem beschleunigte sich, bemüht, mit dem Bedarf seines rasenden Herzens Schritt zu halten. Die Gänge wirkten zu schmal, die Wände rückten auf ihn zu. Er versuchte, sich zu beruhigen, entschlossen, in Würde zu sterben.
    Läufer drückte schmerzhaft fest seinen Arm und brachte ihn mit einem Ruck zum Stehen. Das Brummen und Zischen des Lichtschwerts des Klons spaltete das Zwielicht des dunklen Korridors.
    Khedryn kämpfte darum, sich aufrecht zu halten. »Die Luftschleuse«, sagte er mit ruhigerer Stimme, als er angenommen hatte, dass sie klingen würde. »Nicht auf diese Weise. Wir hatten eine Übereinkunft, Klon.«
    »Halt die Klappe«, sagte Läufer. Seine Miene war angespannt, wild, aber überhaupt nicht auf Khedryn konzentriert. Er schaute in einer Richtung den Gang hinunter, wirbelte herum und sah in die andere. Khedryn konnte in den Gängen in beiden Richtungen bloß Dunkelheit ausmachen.
    Läufers Atem ging jetzt fast so schnell wie Khedryns. Khedryn versuchte, sich einen Reim darauf zu machen, was los war. Der Wahnsinn, mutmaßte er. Läufer musste eine Art Anfall haben. Oder vielleicht …
    Läufer stieß ein tiefes, gefährliches Knurren aus. Seine Hand quetschte Khedryn so fest, dass dieser zusammenzuckte. Die Dunkelheit vor ihnen schien umherzuwirbeln und sich zu vertiefen. Läufer lehnte sich vor und musterte sie wachsam, seine Klinge vor sich haltend. Das Knistern seines Lichtschwerts wurde schwächer, und die Klinge stotterte. Läufer hielt sie vor die Augen und starrte sie an, als die Klinge in sich zusammenfiel.
    »Was zum …«, setzte Khedryn zu fragen an.
    Die Klinge flackerte und erlosch vollends. Das Rauchwölkchen, das vom Griff der Waffe aufstieg, ähnelte einem zurückgebliebenen Geist.
    Im Gang vor ihnen ertönte ein Zischen, und Läufer sprang ruckartig zur Seite und schnappte nach etwas in der Luft. Als Khedryn begriff, was passiert war, war es bereits vorbei.
    Läufer hielt den Schaft eines Armbrustbolzens umklammert. Er hatte ihn geradewegs aus der Luft gefischt. Die silbernen Zacken an der Spitze wirkten wie Rasierklingen.
    In der Dunkelheit des Korridors erklang ein Wispern, das Seufzen eines weichen Stiefels auf dem Boden oder das Rascheln eines Mantels. Läufer ließ den Bolzen fallen, ohne Khedryn loszulassen.
    Die Dunkelheit im Gang wurde dichter, wogte auf sie zu, mit einer bleichen Gestalt an der Spitze, die rasch näher kam. Einen Moment lang dachte Khedryn, dessen Bewusstsein noch immer mit seiner drohenden Hinrichtung befasst war, es sei eine Erscheinung des Todes. Aber das war es nicht. Es war ein Umbaraner.
    Läufer stieß Khedryn so fest gegen die Wand, dass es ihm den Atem aus der Lunge trieb und er zu Boden stürzte.

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