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Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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gefolgt.
    »Lauf doch nicht weg«, sagte er.
    Ich sah ihn an und überlegte. Jünger, als mir eigentlich lieb war, aber definitiv denkbar. Groß, fing gerade erst an, Muskeln aufzubauen. Er hatte ein markantes Kinn, und sein Gesicht hatte fast etwas Königliches. Sein Haar war lockig, halblang, und er hatte sehr helle Haut. Die Sorte Haut, die unheimlich weich ist.
    »Wie heißt du?«, fragte ich.
    »Ben«, antwortete er. »Und du?«
    Drei Augenpaare beobachteten uns, spornten ihn an. Leg dich mit einer Gruppe Kumpels an, und du bekommst es mit einer Gang zu tun. Ich mochte Gangs nicht.
    »Wir sehen uns ein andermal«, sagte ich. »Komm ohne deine Freunde.«
    Damit wandte ich mich ab, ging durch die offenen Boxen des Horse Hospital zurück und trat ins Freie. Über eine breite, gewundene Rampe kommt man nach unten auf den Markt, vorbei an einer weiteren riesigen Pferdestatue. Die Nacht kühlte allmählich ab. Die meisten Stände im Freien hatten bereits zugemacht, bis auf die, an denen es was zu essen gab. Überall, wo ich hinschaute, standen Menschen in Gruppen zusammen, lehnten an Mauern und Geländern, wärmten sich unter Heizpilzen auf, aßen und tranken.
    In der Mitte des Platzes führen breite Stufen zu weiteren Buden hinunter. Oben auf diesen Stufen hatte man einen guten Blick auf das Geschehen. Ungefähr auf halbem Weg die Treppe hinunter stand ein blonder Mann und beobachtete mich. Als ich seinen Blick erwiderte, schaute er nicht weg. Als ich lächelte, lächelte er ebenfalls.
    Er lehnte an einer der metallenen Pferdestatuen und schien allein zu sein. So um die dreißig, schätzte ich, vielleicht auch ein bisschen älter, noch immer im Anzug. Er hatte die Krawatte abgenommen und den Hemdkragen aufgeknöpft. Wenn er direkt von der Arbeit gekommen war, war er schon lange hier, doch selbst auf diese Entfernung hatte ich nicht den Eindruck, dass er betrunken war.
    Als ich die Stufen hinunterging, begriff er, dass ich auf ihn zukam. Sein Blick hielt den meinen die ganze Zeit fest, und ich glaubte nicht, dass er eine meiner schwierigeren Eroberungen sein würde. Dann ließ irgendetwas mich aufblicken, und ich blieb wie angewurzelt stehen.
    Mark Joesbury stand auf der Empore, die sich um die Stufen herumzieht, genau gegenüber von mir. Er beugte sich über das Geländer, und sein Blick wanderte von mir zu dem Mann, auf den ich zuging. Als er merkte, dass ich ihn gesehen hatte, kniff er die Augen zusammen.
    Ich ging weiter, ohne den blonden Mann zu beachten. Am Fuß der Stufen angekommen, wandte ich mich nach links und drängte mich durch dichte Menschenmassen, schubste ein in Leder gekleidetes Mädchen aus dem Weg, zwängte mich zwischen menschlichen Leibern hindurch. Ich konnte nur hoffen, dass Joesbury sich in Camden nicht so gut auskannte wie ich.
    Die Menge lichtete sich, wurde jedoch weniger respektabel, als ich rasch an den Toiletten vorbeischritt. Hier gingen die Drogendeals über die Bühne. Rasch stieß ich die Schwingtür auf und rannte los, die Betonstufen hinauf. Ich musste mehrere Treppen hoch, um wieder auf der Straße herauszukommen.
    Wenn Joesbury diesen Ausgang nicht kannte, konnte ich die Marktstände umgehen, durch Camden Lock Place sausen und die Treidelbrücke überqueren. Auf der anderen Seite musste ich nur noch ein paar hundert Meter laufen und konnte dann mit einem Nachtbus nach Hause fahren. In meinem Rucksack hatte ich flache Schuhe.
    Als ich auf die Schleuse zuhielt, zitterte ich von Neuem und hätte diesmal wirklich nicht sagen können, ob das von der Kälte, einem verspätet einsetzenden Schock oder von der Riesenwut kam, die ich im Bauch hatte. Als ich den Kanal erreichte, hatte ich mich entschieden.
    Was zum Teufel hatte Joesbury hier zu suchen? Ich komme aus einem ganz bestimmten Grund hierher, verdammt noch mal. Von da aus, wo ich wohne und arbeite, liegt Camden auf der anderen Scheißseite von London, und die Chance, jemandem zu begegnen, den ich kenne, ist minimal. Es konnte kein Zufall sein, dass er hier war. Er hatte mich abgesetzt, hatte vor meiner Wohnung gewartet und war mir hierhergefolgt. Wieso?
    Es war nach zwei, als ich nach Hause kam. Ich marschierte geradewegs durch die Wohnung. Ganz hinten im Garten ist ein kleiner Schuppen. Ich habe den Boden mit Schaumgummimatten ausgelegt und in der Mitte des Schuppendachs einen großen Sandsack aufgehängt. Diesem hatte ich einen Kopf verpasst, der früher mal einer Schaufensterpuppe gehört hatte, und ihm Klamotten angezogen, so

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