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Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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es waren Eingeweide. Die Konfetti-Blütenblätter waren Blutstropfen, und die Ballons – großer Gott! –, die Ballons waren abgetrennte menschliche Köpfe, die mich mit milchigen Augen anstarrten, wohin ich mich auch wandte.
    Mit einem Laut irgendwo zwischen einem Keuchen und einem Aufschrei war ich wach. Ich lag nicht mehr im Bett, sondern stand zitternd am Fußende. Im Zimmer war es dunkel, und einen Augenblick lang sah ich nichts außer den roten Lichtern von Joesburys Alarmanlage. Winzige rote Lichter.
    Ich hatte keine Ahnung gehabt, wie orientierungslos man ist, wenn man mitten in der Nacht aufwacht und nicht im Bett liegt. Wie schutzlos ich mich dabei fühlen würde. Hastig stolperte ich durchs Zimmer und machte das Licht an.
    Sobald ich etwas sehen konnte, unterzog ich als Erstes meinen Körper einer genauen Prüfung, Arme, Beine, Oberkörper. Der Traum war so lebensecht gewesen, dass ich selbst jetzt noch sicher war, von oben bis unten voller Blut zu sein. Natürlich war da nichts. Die klebrige Feuchtigkeit, die ich beim Aufwachen gespürt hatte, war bloß Schweiß gewesen. Deutlich schwerer – genauer gesagt unmöglich – war dagegen die Musik zu erklären.
    Die Musik war nicht Teil des Traumes gewesen. Die Musik war immer noch zu vernehmen. Zuerst dachte ich, sie wäre bei mir im Zimmer, doch ich wusste, dass ich sämtliche Schlösser und Alarmsysteme überprüft hatte, bevor ich schlafen gegangen war. Sie kam von draußen. Ich trug ein Trägerhemd und weite Shorts. Schlafanzüge oder Nachthemden besitze ich nicht. Rasch nahm ich ein Sweatshirt vom Stuhl und zog es über.
    Draußen war die Musik lauter; es überraschte mich, dass die anderen Leute im Haus nicht davon aufgewacht waren. Es war eine Instrumentalversion, doch natürlich kannte ich den Text auswendig. Raindrops, roses, copper kettles and wild geese. Die schönsten Dinge auf der Welt. Lieblingsdinge. Favorite Things.
    Durchs Schuppenfenster konnte ich ein Licht flackern sehen, wie eine Kerzenflamme. Und die Tür war anscheinend nicht richtig zu. Inzwischen war ich schon halb durch den Garten getappt; die Steinplatten des Weges waren kalt unter meinen nackten Füßen. Die Schuppentür war aufgeschlossen worden und stand einen Spaltbreit offen.
    Door bells, sleigh bells, girls in white dresses. Die Liste meiner Lieblingsdinge hatte nicht ganz so ausgesehen wie die von Maria, obwohl ich gegen das meiste nichts einzuwenden hatte. Auf meiner Liste jedoch hatte noch das Gefühl gestanden, als Erste in ein Schwimmbecken zu tauchen und die wunderschöne klare Stille des Wassers zu durchbrechen. Und der Dampf, der an einem Wintermorgen von Ponyleibern aufsteigt. Und die samtige Weichheit ihrer Nüstern. Ich war ganz vernarrt in Ponys gewesen.
    Vorhin war ich im Schuppen gewesen. Als ich von der Arbeit heimgekommen war, hatte ich mich umgezogen und die Tür aufgeschlossen. Ich hatte den Kopf der Schaufensterpuppe auf dem Sandsack angestarrt und mir vorgestellt, er hätte türkisblaue Augen, sonnengebräunte Haut und ebenmäßige weiße Zähne. Eine Stunde später war ich erschöpft in die Wohnung zurückgekehrt.
    Bücher waren als Kind meine zweite große Leidenschaft gewesen. Ich hatte mir das Lesen praktisch selbst beigebracht und brauchte selten mehr als ein Schuljahr, um das Leseregal im Klassenzimmer abzugrasen. Da ich nie genug Geld hatte, um mir Bücher zu kaufen, war die Leihbücherei ein Gottesgeschenk. Jeden Samstagvormittag war ich dort. Und mein allerliebstes Lieblingsbuch? Der Zauberstein von Brisingamen natürlich.
    Die Musik kam aus dem Schuppen.
    Stadtparks hatte ich auch gern gemocht. Wie die Bäume und das Gras eine Hülle um einen herum zu bilden scheinen, einen vor dem Krach und dem Gestank der Stadt schützen. Und den Zoo, den sollte ich nicht vergessen. Seit ich ein Kleinkind war, bin ich gern in den Zoo gegangen. Schwimmbecken und Ponys, Parks und der Zoo und Bibliotheken voller Bücher. Meine Lieblingsdinge.
    Ich hatte den Schuppen erreicht. Ich war lediglich den Plattenweg durch den Garten hinuntergegangen, doch das schien sehr lange gedauert zu haben. Es schien sogar noch länger zu dauern, die Hand auszustrecken und sacht gegen die Tür zu drücken.
    Von Anfang an war es bei diesem Fall um mich gegangen. Auf irgendeiner Bewusstseinsebene war mir das immer klar gewesen.
    Es war nicht nötig, den Schuppen zu betreten. Von der Tür aus sah ich den Sandsack sanft hin und her pendeln, als erinnere er sich an die Tracht Prügel,

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