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Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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ein. »Einsfünfundsiebzig ist nicht gerade klein.«
    »Vielleicht meint sie ja dünn«, warf Mizon ein. Auch ihre Anwesenheit hatte ich nicht bemerkt. »Und sie hat gesagt, schwarzes Haar. Auf dem Foto, das wir haben, hatte Victoria schwarzes Haar. Aber unter der Mütze da sieht man ja nichts.«
    »Manche Frauen wechseln ihre Haarfarbe öfter als ich die Socken«, bemerkte Joesbury. Ich musste wirklich völlig in die Aufnahmen vertieft gewesen sein, dass ich ihn nicht hatte kommen sehen. »Und Kleidung kann die Körperformen völlig verändern. Was meinen Sie, Flint?«
    »Was meine ich wozu?«, fragte ich, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden. »Zu Ihren Chancen auf eine zweite Karriere als persönlicher Stylist?«
    Er stützte sich auf die Lehne meines Stuhles. Ich konnte seine Fingerknöchel an meinen Schultern spüren. »Glauben Sie, sie trägt hohe Absätze?«, fragte er. »Spulen Sie mal ein bisschen zurück.«
    Mizon beugte sich zu uns herüber und klickte die Aufnahmesequenz zurück zum Anfang.
    »Schaut euch das an«, sagte Joesbury. »Seht doch mal, wie sie läuft.«
    Wir sahen zu, wie die schwarze Gestalt den Kopf gesenkt hielt, als sie den Weg überquerte und im Gorillahaus verschwand.
    »Gayle, tragen Sie Absätze?«, erkundigte sich Joesbury.
    Mizon hob den rechten Fuß, um ihre Pumps mit fünf Zentimeter hohem Absatz vorzuzeigen. Für die meisten Frauen war das eine bescheidene Absatzhöhe, als Polizistin im Dienst war es so ziemlich das Äußerste, was man sich erlauben konnte.
    »Könnten Sie mal bis zur Wand gehen?«, bat Joesbury. »Und wenn irgendwer pfeift, knall ich ihm eine.«
    Mizon setzte eine Miene auf, die irgendwo zwischen affektiertem Lächeln und stummem Kichern angesiedelt war, und marschierte los.
    »Flint, haben Sie Ihre üblichen Doc Martens an?«, wollte Joesbury wissen. »Tun Sie doch einfach mal dasselbe.«
    Innerlich ermahnte ich mich, dass es nicht dienlich sei, einem Vorgesetzten zu sagen, was er einen mal könnte, stand auf und ging zur Wand. Ich besitze gar keine Doc Martens. Als ich Mizon erreichte, drehte ich mich um. Joesbury war ein Arschloch.
    »Okay, ihr beide, kommt zurück. Schön langsam.«
    Wir taten wie geheißen. Nur eine von uns beiden lächelte dabei.
    »Ich hoffe doch, das hier hat irgendeinen Sinn«, ließ sich Tulloch von der Tür her vernehmen.
    »Ich würde mal sagen, was wir da auf dem Bildschirm sehen, ist eine Frau, die versucht, größer zu erscheinen, als sie ist«, verkündete Joesbury. »Sie trägt weite Klamotten und hohe Absätze.« Er zeigte auf den Bildschirm. »Schau her«, sagte er. »Sie läuft wie Gayle. Auf hohen Absätzen schiebt eine Frau die Hüften nach vorn. Und ich würde sagen, sie bewegt sich vorsichtig, als hätte sie Angst zu stolpern. Flint dagegen stapft durch die Gegend wie ein Mann.«
    Ein paar Leute im Raum glucksten. Ich gehörte nicht dazu.
    »Ich würde sagen, Mrs. Richardson hat recht gehabt«, stellte Joesbury fest. »Sie ist ziemlich klein. Wie groß sind Sie, Flint?«
    »Einsachtundsechzig«, antwortete ich durch zusammengebissene Zähne.
    »Wirklich?« Er kam herüber und nahm meine Jacke von der Lehne meines Stuhls. »Das ist Größe 38«, meinte er. »Und Sie ertrinken fast in dem Teil. Also haben Sie Größe 34. 36, wenn’s mal ein paar Pfund mehr sind.«
    »Danke, Mark, wir haben’s begriffen«, sagte Tulloch. »Sie ist eine Frau von kleiner bis durchschnittlicher Statur, die versucht, das zu verbergen, wenn sie weiß, dass sie wahrscheinlich gefilmt werden wird. Und jetzt, ehe ich’s vergesse, hast du dieses Wochenende Zeit, nach Cardiff zu fahren? Du kannst Gayle mitnehmen, damit sie auf dich aufpasst.«
    Daraufhin entschuldigte ich mich und ging hinaus. Ich musste dringend etwas finden, was ich kaputtschlagen konnte.

73
    Samstag, 6. Oktober
    Ich tanzte Walzer. Deshalb wusste ich sofort, dass es ein Traum war; ich habe in meinem ganzen Leben noch nie Walzer getanzt. In meinem Traum jedoch wirbelte ich herum, drehte mich immer weiter, wie ein Kreisel, während die Musik lauter wurde. Und wohin ich mich auch wandte, überall waren rote Ballons und Papierschlangen, und leuchtend rotes Konfetti rieselte wie Blütenblätter von der Decke.
    Ich drehte mich schneller, und allmählich begann die Musik in meinem Kopf zu schmerzen. Dann verwandelten sich plötzlich die Ballons, die Papierschlangen und die Blütenblätter, nahmen seltsame Formen an und glänzten nass. Die Papierschlangen waren nicht mehr aus Papier,

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