Dunkle Gebete
Kinder mit reichen Eltern, die glauben, sie können sich alles erlauben.«
»Aber Victoria hat es sich anders überlegt?«, fragte ich.
»Das stimmt, Schätzchen«, bestätigte Williams. »Und das ist der Teil, auf den ich wirklich nicht stolz bin. Die Anwälte haben ein Treffen mit ihr verlangt, und schließlich hat sie zugestimmt. Ich bin auch mitgegangen, zusammen mit ihrem Rechtsbeistand. Wir hatten nicht vor, uns unterbuttern zu lassen.«
»Und?«, fragte Joesbury.
»Das Ganze war sehr kurz und sachlich. Die haben darauf hingewiesen, dass sie die Einzige im Park gewesen sei, die strafmündig wäre, und dass Sex mit einem Minderjährigen, egal welches Geschlecht, vom gesetzlichen Standpunkt her als Vergewaltigung gilt. Sie wären bereit, keine Anzeige zu erstatten, wenn sie es genauso halten würde.«
»Die haben gedroht, sie wegen Vergewaltigung anzuzeigen?« Joesbury, das muss man ihm lassen, sah fassungslos aus.
Williams neigte bestätigend den Kopf.
»Wären sie damit durchgekommen?«
Williams zuckte die Schultern. »Möglich. Sie hatten die Fingerabdrücke auf der Kondompackung, und das Recht war auf ihrer Seite. Selbst wenn der Sex einvernehmlich gewesen wäre, hätte Victoria das Gesetz gebrochen. Außerdem haben sie darauf hingewiesen, dass ihre sexuelle Vergangenheit vor Gericht zur Sprache kommen würde. Wie gesagt, sie war kein Engel, auch mit sechzehn hatte sie eine Vergangenheit.«
»Sie haben zugelassen, dass ein jugendliches Vergewaltigungsopfer durch Einschüchterung davon abgebracht wurde, Anzeige zu erstatten?«, fragte Joesbury.
»An diesem Punkt haben wir das Treffen abgebrochen«, erwiderte Williams. »Aber da war es schon zu spät. Victoria wusste, dass sie bei diesem Spiel nur verlieren konnte. Und sie wollte ihrer Schwester keinen Prozess zumuten.«
Williams brachte uns hinaus. Wir standen auf den Stufen des Reviergebäudes und dankten ihm dafür, dass er sich Zeit für uns genommen hatte.
»Wann haben Sie Victoria zum letzten Mal gesehen?«, fragte Joesbury.
»An dem Tag damals«, antwortete Williams. »Cathy bin ich danach noch ein paarmal begegnet, sie ist dann zu einer ziemlichen Rabaukin geworden. Aber Victoria habe ich nie wiedergesehen. Wir haben nach ihr gefahndet, als sie verschwunden ist, verstehen Sie? Sie hat sich mit einem geklauten Auto abgesetzt.«
Ich hatte die eleganten weißen Häuser um mich herum betrachtet.
»Was denken Sie, Sergeant Williams?«, fragte ich und wandte mich wieder zu ihm um. »Haben die Mädchen die Wahrheit gesagt?«
Sein Blick hielt dem meinen unbeirrt stand. »Daran habe ich nie auch nur einen Moment gezweifelt, Schätzchen.«
78
»Alice hat in zwanzig Jahren zweiunddreißig Pflegekinder gehabt. Was sie natürlich allen Leuten auf die Nase binden musste.«
Myfanwy Thomas, die früher einmal die Nachbarin der Llewellyn-Mädchen und ihrer Pflegeeltern gewesen war, war Anfang fünfzig, aber noch immer eitel genug, um zu enge Kleider zu tragen und ihre grauen Haare unter Supermarktfarbe zu verbergen. Sie hatte mich einmal kurz von oben bis unten gemustert, als wir gekommen waren. »Meine Güte, Kindchen, Sie haben aber ordentlich was abgekriegt«, hatte sie verkündet, bevor sie ihre Aufmerksamkeit Joesbury gewidmet hatte.
»Erinnern Sie sich an die Llewellyn-Schwestern?«, fragte ich.
Sie sah mich stirnrunzelnd an, ehe sie sich abermals auf Joesbury konzentrierte. »Einen Keks, Süßer?«
Joesbury nahm sich einen Keks und lächelte. Ich schwöre es, die Frau schmachtete ihn geradezu an.
»Die beiden haben wohl Ärger, wie?«, fragte sie ihn. »Überrascht mich nicht, jedenfalls nicht bei Vicky. Was hatte Alice für Probleme mit dem Mädchen.«
»Vicky war also schwer zu bändigen?«, fragte Joesbury.
»Ach, Sie haben ja keine Ahnung, Süßer. Wenn die alle drei Tage mal zur Schule gegangen ist, dann war das gut. Ist zum Essen gekommen, wann es ihr gepasst hat. Hat sich bis in die Puppen draußen rumgetrieben.«
»Hört sich für mich nach einem ganz typischen Teenager an«, bemerkte ich und blickte über Myfanwys Kopf hinweg in den kleinen, von einer Mauer umgebenen Garten hinaus.
»Irgendwas hat mit der nicht gestimmt«, behauptete Myfanwy und bedachte mich mit einem kurzen Zornesfunkeln. »Ihr ganzes Zimmer war voll mit diesen scheußlichen Büchern, Alice hat sich richtig gegruselt. Stephen King, James Herbert, Sie wissen schon, so was eben.«
»Dann hat sie also viel gelesen?«, fragte ich.
Die andere Frau schüttelte
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