Dunkle Gebete
fragte er. »Cathy war schwanger?«
Mrs. Jenkins nickte betrübt. »Ja, ein paar Wochen nach dem Vorfall im Bute Park ist es festgestellt worden.«
Joesbury sah mich an. »Augenblick mal«, sagte er. »Die Jungen haben doch Kondome benutzt.«
»Kondome sind aber nicht absolut kugelsicher«, wandte ich ein. »Haben die Dinger nicht eine Fehlerquote von ungefähr drei Prozent?«
Joesbury hob abwehrend die Hände. »Flint, ich beuge mich Ihrer größeren –«
»Fangen Sie bloß nicht so an«, herrschte ich ihn an.
Joesbury wandte sich wieder an Mrs. Jenkins. »Und was ist daraus geworden?«, fragte er. »Hat sie das Baby bekommen?«
Die Sozialarbeiterin schüttelte den Kopf. »Nein«, antwortete sie. »Die Schwangerschaft wurde in der elften Woche abgebrochen. Das Problem war nur, damit war die Geschichte noch nicht zu Ende.«
»Wieso?«, wollte Joesbury wissen.
»Sie hat eine Form der postnatalen Depression entwickelt, die wir bei jungen Mädchen nach Schwangerschaftsabbrüchen häufig sehen«, sagte Mrs. Jenkins. »Man hat ihr Antidepressiva verschrieben und zugelassen, dass sie abhängig wurde. Vermutlich hat sie auch noch irgendwelches anderes Zeug genommen. Dann hat sie eine Infektion bekommen, als direkte Nachwirkung des Eingriffs. Die hat in ihrem Inneren irreparable Schäden angerichtet. Danach wurde es immer schlimmer mit ihr. Sie wurde immer schlechter in der Schule, es gab alle möglichen Verhaltensprobleme, aber sie wollte keine von den Beratungen, die wir ihr vorgeschlagen haben. Sie wurde sehr krank.«
»Und dann ist sie weggelaufen?«, fragte Joesbury.
»Ja«, sagte Mrs. Jenkins. »Dann haben wir sie aus den Augen verloren.«
80
Um sechs Uhr waren Joesbury und ich beide völlig erledigt. Wir waren in dem Kinderheim gewesen, wo Victoria und Catherine mit einigen Unterbrechungen den größten Teil ihres Teenagerlebens verbracht hatten. Weder Betreuer noch Akten hatten viel Neues zu bieten. Cathy war die Stille, Freundliche, und Victoria war das Problemkind, hatte ständig Scherereien, und man traute ihr immer Schlimmeres zu als das, wobei sie jemals erwischt worden war.
Joesbury kam richtig auf Touren, als es uns gelang, Victorias ehemalige Englischlehrerin ausfindig zu machen. Allerdings war sein Gesichtsausdruck bemerkenswert, als die winzige Frau die Haustür öffnete und uns klar wurde, dass sie kaum etwas sehen konnte. Für mich war das der Höhepunkt des Tages.
Miss Munnery hatte vielleicht viel von ihrer Sehkraft eingebüßt, ihr Verstand jedoch war messerscharf. Sie konnte sich an beide Mädchen erinnern, besonders an Victoria. »Ich weiß noch, wie sie fortgelaufen ist«, sagte sie, als wir uns zum Gehen anschickten. »Diese Sache damals mit ihrer Schwester im Park – da ist irgendetwas in ihr gestorben, als das passiert ist. Sie wurde – wie soll ich es ausdrücken? – kalt. Ihre Augen haben ausgesehen, ich weiß auch nicht …«
»Unglücklich?«, bot ich an, während wir auf der Türschwelle verharrten.
»Nein, Liebes«, antwortete sie. »Sie haben ausgesehen wie Haifischaugen. Dunkel und tot.«
Das Polizeibudget erlaubt keine Luxushotels, aber in Geschäftszentren wie Cardiff gibt es am Wochenende oft freie Hotelzimmer. Die Polizei von London hatte einen guten Preis mit einem neuen und ziemlich glamourösen Hotel in der Nähe der Flussmündung ausgehandelt, und wir checkten kurz nach sechs ein.
»Wo möchten Sie essen?«, erkundigte sich Joesbury und unterdrückte ein Gähnen, als wir im Fahrstuhl nach oben fuhren.
»Ehrlich gesagt hab ich keinen Hunger«, erwiderte ich, ohne den Blick von den Fahrstuhlknöpfen abzuwenden. »Ich hau mich gleich aufs Ohr. Wir sehen uns beim Frühstück.«
Der Fahrstuhl hielt zuerst auf meinem Stockwerk, und ich stieg aus, ohne mich umzudrehen. Mein Zimmer war schön, so ziemlich das nobelste, das ich je bewohnt hatte. Das Bett war breit, die Ausstattung dezent, aber elegant, in sanften Creme-und Ockertönen. Die eine Wand bestand zum größten Teil aus Glas. Ich ging hin und zog die spinnwebenzarte Gardine zurück.
Inzwischen war es richtig dunkel geworden, und Lichter schimmerten übers Wasser. Nicht weit vom Ufer entfernt war eine Jacht vor Anker gegangen. Sie funkelte wie ein Juwel auf dunklem Samt, und ich konnte Leute auf dem Deck sehen. Die Lichter an Bord schienen weit über das Wasser hinauszustrahlen, wie bunte Papierschlangen. Ich beobachtete die Jacht, bis alle nach unten in die Kabine gegangen waren und die Einsamkeit sich
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