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Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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genannt, nicht wahr? In Briefen, die er an die Polizei geschickt hat.«
    »Und an die Presse«, ergänzte Emma Boston. Über der Sonnenbrille hatten sich ihre Augenbrauen zusammengezogen, und mir wurde klar, dass ich sie etwas zu eindringlich anstarrte. Ich zog mein Handy aus meiner Handtasche. Die SMS war von Pete Stenning, der mir mitteilte, dass er und ein paar andere zum Nag’s Head in Peckham unterwegs seien, falls ich mitkommen wollte. Mich binnen vierundzwanzig Stunden zweimal zu Gesicht zu bekommen musste ihn wohl an alte Zeiten erinnert haben. Vielleicht hatte er vergessen, dass ich niemals eine Einladung von ihm angenommen hatte.
    »Ich weiß nur sehr wenig über Jack the Ripper«, sagte ich und wusste eigentlich nicht recht, wieso ich log. »Hat der nicht Prostituierte umgebracht?«
    »Stimmt«, antwortete die Reporterin. »Und zwar eine ganze Menge. Im Großen und Ganzen hat er ihnen die Kehle durchgeschnitten und ihnen dann den Bauch aufgeschlitzt. Genau wie das, was dieser Frau am Freitagabend passiert ist. Sein erstes Opfer, eine Frau namens Polly Nichols, wurde am 31. August 1888 getötet, aber danach kamen noch andere. Ich glaube, Sie könnten es mit einem Nachahmungstäter zu tun haben.«
    »Kann ich das behalten?«, fragte ich und deutete auf den Brief.
    »Was können Sie mir als Gegenleistung erzählen?«, gab sie zurück. Ich schüttelte den Kopf.
    »Dann nicht«, sagte sie.
    Ich hielt ihr den Brief hin und merkte, dass meine Hand zitterte. »Ich werde dem nachgehen, was Sie mir erzählt haben«, sagte ich. »Gleich heute Abend. Und wenn ich glaube, dass da was dran ist, dann arrangiere ich für Sie ein Treffen mit DI Tulloch. Was sie Ihnen erzählt, muss sie entscheiden, aber wenn Sie davon absehen, irgendetwas zu veröffentlichen, bis Sie mit ihr gesprochen haben, ist sie bestimmt sehr viel eher bereit mitzuspielen.«
    Emma Boston schob die Plastikhülle behutsam wieder in ihre Handtasche. »Ich muss morgen mit ihr sprechen«, sagte sie. »Sonst geht das raus.«
    »Haben Sie einen Scanner?«, fragte ich. Als sie nickte, kritzelte ich meine berufliche E-Mail-Adresse auf einen Zettel und reichte ihn ihr. Ich konnte nur hoffen, dass die Mail automatisch nach Lewisham weitergeleitet wurde.
    »Scannen Sie den Brief und schicken Sie mir die Kopie«, wies ich sie an. »Und lassen Sie niemand anderes das Original anfassen. Also, wie kann ich Sie morgen erreichen?«
    Emma Boston schrieb mir ihre Adresse und ihre Telefonnummer auf. Ich trank einen letzten Schluck Cola und verließ den Pub. Dann ging ich nach Hause und forschte ein paar Dutzend Jahre zurück in die Vergangenheit.

16
    Das Zimmer, in dem ich als Teenager gewohnt habe, hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem schlichten, halb leeren Raum, in dem ich jetzt schlafe. In meinem damaligen Zimmer stapelten sich Bücher auf dem Boden, sie waren in die Regale gestopft, balancierten auf der Kommode, fielen vom Kleiderschrank und waren sogar unter dem Bett verstaut. Früher hatte ich unheimlich viele Bücher, darunter jede Menge Krimis; die meisten davon basierten auf Tatsachenberichten. Wäre ich jemals in Mastermind aufgetreten, Gewaltverbrechen wären mein Spezialgebiet gewesen.
    Ich war erst seit ein paar Minuten zu Hause, doch meine Wohnung schien kleiner geworden zu sein und außerdem zu warm. Als wären die Wände ein paar Zentimeter näher zusammengerückt. Ich brauchte frische Luft. Draußen ging ich zu dem Jasminbusch hinüber, der über die Mauer des Nachbargartens hereinwucherte. Ich atmete tief durch, sog den sanften, süßen Duft ein, als könne er meinen Kopf ein wenig klarer machen, mich aus der Vergangenheit zurückholen.
    Es funktionierte nicht. Ich war wieder zwölf Jahre alt, vielleicht vierzehn, und saß in der Schule im Geschichtsunterricht. Ich hatte mich gelangweilt, hatte in meinem Heft herumgekritzelt und mit dem Mädchen neben mir getuschelt. Ich erinnere mich noch, wie mich die Lehrerin mit einem kurzsichtigen, starren Blick fixierte. Sie hatte ein bisschen Angst vor mir gehabt, diese Lehrerin, aber ab und zu hatte sie das Bedürfnis verspürt, sich ihren Dämonen zu stellen. »Also, gibt es irgendeine historische Persönlichkeit, die du besonders toll findest?«, fragte sie mich.
    Ich hatte mit halbem Ohr zugehört, das hatte ich immer schon gut gekonnt, und hatte mitbekommen, wie meine Klassenkameraden Oliver Cromwell genannt hatten, Leonardo da Vinci, Elizabeth I., Einstein.
    »Jack the Ripper«, hatte ich geantwortet,

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