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Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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der sich an ihrem Oberkörper hinunterzog. Die Gesichtsverletzungen waren grauenhaft.
    »Um ein Uhr fünfundvierzig«, berichtete ich, »fand PC Watkins von der Londoner Polizei Catharines Leichnam im Mitre Square.«
    »Moment mal, wir reden hier also von weniger als einer Stunde nach dem Mord an Stride in Whitechapel«, wandte Barrett ein.
    »Stimmt«, bestätigte ich. »Catharine war die Kehle durchgeschnitten worden, fast bis zur Halswirbelsäule. Der Polizeiarzt gab als Todesursache einen massiven Blutverlust aus der linken Halsschlagader an. Außerdem war ihr Bauch von der Brust bis zum Schambein aufgeschlitzt worden; etliche innere Organe wurden beschädigt. Andere, einschließlich der Nieren und des Uterus, wurden entfernt. Einige ihrer Organe lagen um die Leiche herum verstreut, fast so, als hätte der Täter hektisch nach irgendetwas gesucht und den Rest um sich geworfen.«
    Die Stimmung im Raum war umgeschlagen. Die Leute hörten wieder zu.
    »Bei Eddowes hat der Ripper sich zum ersten Mal das Gesicht des Opfers vorgenommen«, erklärte ich. »Er hat mit seinem Messer Schnitte in Wangen und Augenlider gemacht. Ein Ohrläppchen wurde abgetrennt, ebenso die Nasenspitze.«
    Meine Kollegen schienen wie gebannt von Eddowes’ Gesicht. Grässliche Narben zeigten, wo die Wunden im Gesicht während der Autopsie genäht worden waren. Unter all den Verheerungen jedoch konnte man immer noch erkennen, dass sie früher einmal eine hübsche Frau gewesen sein dürfte. Sie hatte ein herzförmiges Gesicht, hohe Wangenknochen und eine glatte, makellose Stirn, und ich konnte nicht umhin, mich zu fragen, ob es ein Zufall gewesen war, dass ausgerechnet das schönste Opfer des Rippers ihn zu seinen schlimmsten Gewalttaten inspiriert hatte.

43
    Während der nächsten paar Tage verkörperte ich nach außen hin die fürsorgliche Seite der Polizei, war Freund und Helfer – und fungierte gleichzeitig als »Ripper-Köder«, wie Stenning und ein oder zwei von den anderen mich hartnäckig nannten. Ich verbrachte pro Tag weniger als eine Stunde auf dem Revier. Die restliche Zeit war ich unterwegs, besuchte Schulen, Jugendclubs und Gemeindezentren in ganz South London. Ich schloss mich mit den Sapphire Units kurz und half ihnen dabei, Vorträge vor jungen Mädchen zu halten, über Sicherheitsmaßnahmen und darüber, wie wichtig es sei, Übergriffe anzuzeigen. Ich traf mich auch mit Rona und ihrer Schwester Tia auf einen Burger und war erleichtert zu erfahren, dass bislang nichts Schlimmes passiert war und dass beide Mädchen sich sehr in Acht nahmen.
    Außerdem war ich auf den Straßen unterwegs, spendierte Becher um Becher Suppe, wies den Leuten den Weg zu Wohnheimen und Beratungszentren oder redete auch einfach nur. Der Tag kann ziemlich öde sein, wenn man nichts zu tun hat und nicht weiß, wo man hinsoll.
    Mittags ging ich schwimmen. Abends saß ich in Pubs oder Cafés und tat so, als läse ich Zeitung. Ich trieb mich so lange draußen herum, wie es nur ging, wartete auf einen Anruf, darauf, dass die hochgewachsene, dürre Gestalt Samuel Coopers in der Ferne auftauchte. Am zweiten Abend fuhr ich sogar nach Camden, in erster Linie, um Joesbury auf die Palme zu bringen, und stellte fest, dass mein Bedürfnis, ihn zu reizen, Grenzen hatte. Ich ging allein nach Hause.
    Eigentlich war ich niemals wirklich allein. Joesbury hatte die Genehmigung bekommen, dass zwei seiner Kollegen vom SO10 mich abwechselnd beschatteten. »Deine Jungs fallen auf wie bunte Hunde«, hatte er zu Tulloch gesagt, als sie eingewandt hatte, sie würde das lieber von ihren eigenen Leuten machen lassen. »Jeder Ganove, der was auf sich hält, erkennt die schon auf eine Meile Entfernung.«
    Wer auch immer Joesburys Leute waren, sie waren gut. Nicht einmal ich hatte sie bisher entdeckt. Gelegentlich sah ich in einiger Entfernung jemanden, den ich aus Lewisham kannte. Tulloch ging kein Risiko ein.
    Tulloch rief mich oft an. Stenning fast ebenso häufig. Ich hatte gehört, dass die letzte Pressekonferenz sehr unangenehm gewesen war und dass Tullochs Vorgesetzte allmählich auf Distanz gingen. Wenn der Mörder nicht bald geschnappt wurde, würde sie es ausbaden müssen.
    Auf dem Revier war kein Wort davon zu hören gewesen, dass sie die Ermittlungen abgeben würde.
    Dank Stenning bekam ich einen vollständigen Bericht von der Autopsie der Frau, die wir im Victoria Park gefunden hatten. Die Todesursache war massiver Blutverlust infolge ausgedehnter Verletzungen der

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