Dunkle Gebete
gehört?«
Weston blickte auf und schüttelte den Kopf. »Ich war im Ausland.«
»Natürlich, das haben Sie ja gesagt. Die andere Frau war im selben Alter wie Ihre. Sie hieß Geraldine Jones. Sagt Ihnen dieser Name etwas?«
Wieder schüttelte er den Kopf.
Jetzt musste ich wirklich los. Entschlossen trat ich einen Schritt zurück und stieß gegen Joesbury. Ich hatte nicht einmal gemerkt, dass er im Zimmer war. Den Blick fest auf den Bildschirm geheftet, wand ich mich um ihn herum und ging.
Mehrere Tage lang spielte ich meine Rolle und versuchte, Samuel Cooper ins Freie zu locken. Kollegen wie Stenning und Mizon hielten mich in allen wichtigen Fragen auf dem neuesten Stand.
Wie zum Beispiel der Tatsache, dass Geraldine Jones und Amanda Weston einander durchaus gekannt haben konnten. Bisher konnte sich niemand aus den jeweiligen Familien daran erinnern, dass die beiden Frauen befreundet gewesen wären, doch als Amanda mit ihrem früheren Mann verheiratet gewesen war, hatten sie und ihre Kinder in London gewohnt. Ihre und Geraldines Kinder waren auf dieselbe Privatschule in Chiswick gegangen. Kurz danach erfuhren wir, dass Coopers Mutter Stacey als Köchin in der Schule gearbeitet und dass Cooper sie dort öfter besucht hatte. Es sah so aus, als wären die Morde doch nicht nach dem Zufallsprinzip verübt worden. Dahinter steckte eine Absicht.
In der Zwischenzeit ließ Cooper sich weiter nicht schnappen. Und die Spinner waren wirklich zu Hochform aufgelaufen. Jeden Tag wurden wir mit Anrufen und Ripper-Briefen überschüttet; jeden Tag bezogen wir in der Presse Prügel. ERMITTLER HILFLOS. DIE INKOMPETENZ DER LONDONER POLIZEI. COUNTDOWN ZUM NÄCHSTEN MORD . Die Schlagzeilen wurden immer gehässiger. Wir fingen an, sie vor Tulloch zu verstecken.
Und dann, am achten Tag nach der Entdeckung von Amanda Westons Leiche, fanden wir ihn.
45
Montag, 17. September
»Auf dem Blumenmarkt. In zehn Minuten. Kommen Sie allein.«
Ein leises Klicken, und die Leitung war tot. Mein Schlafzimmer lag im Dunkeln. Die Leuchtziffern des Weckers zeigten zehn nach vier. Ich eilte zum Schrank und zog mich rasch an. Jogginghose, Sportschuhe, Sweatshirt und die Jacke, die das SO10 mir erst vor ein paar Tagen gegeben hatte. Daran waren vier große Plastikknöpfe. Zwei davon waren wirklich Knöpfe. Der dritte war ein Peilsender, den ich durch Drehen aktivierte. Der vierte enthielt ein winziges Aufnahmegerät.
Sobald ich die Wohnung verließ, würden die Kameras draußen mich einfangen. Selbst wenn ich den Jackenknopf nicht sofort aktivierte, sandte mein neues Handy ein Dauersignal an das Kontrollzentrum von Scotland Yard. Wenn ich um diese Zeit meine Wohnung verließ, würde irgendjemand, der mich überwachte, sehen, dass das nicht normal war, und sowohl mein Team als auch das SO10 würden verständigt werden. Sie würden Kontakt mit dem Zivilfahrzeug aufnehmen, das irgendwo in meiner Straße parkte, und den Fahrer anweisen, mir diskret zu folgen.
Draußen trug ich mein Fahrrad zur Straße hinauf und machte mich auf den Weg zur Wandsworth Road. Dort war mehr los. In dieser Gegend kommt der Verkehr früh ins Rollen.
Auf dem New Covent Garden Flower Market decken sich Floristen aus ganz London und dem Südosten mit Ware ein. Hunderttausende von Blumen treffen hier jeden Tag aus dem Ausland und aus allen Ecken Großbritanniens ein. Er befindet sich dicht an der Themse, in einer riesigen Lagerhalle zwischen der Nine Elms Lane und der Wandsworth Road, und öffnet an den meisten Tagen um drei Uhr morgens.
Obwohl er hauptsächlich für Händler gedacht ist, ist der Blumenmarkt auch für die Öffentlichkeit zugänglich. Besonders am Freitag-und am Samstagmorgen sieht man hier eine ganze Menge Schnäppchenjäger und Neugierige. Touristen, die sich die Mühe machen, in aller Herrgottsfrühe aufzustehen, reiche Frauen von der Nordseite des Flusses, die Nobelpartys planen. Bräute, die davon träumen, ihre Kirche mit Blüten zu füllen. Und manchmal auch mich.
Wenn ich nicht schlafen kann, komme ich oft mit dem Fahrrad oder zu Fuß hierher und schlendere einfach nur zwischen den Ständen umher. Blumen gehörten schon immer zu den Dingen, die ich am liebsten mochte.
Ich ließ mein Fahrrad an irgendeinem Geländer stehen und betrat das Lagerhaus dann durch den Wareneingang. Der schwülstige, schwere Duft von Lilien hüllte mich ein. An dem Stand zu meiner Rechten gab es Hunderte davon: weiße, rosafarbene, gelbe und das grandiose Orangegold der
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