Dunkle Gebete
nach. Sie war jung, weiblich und nicht ganz weiß; sie erfüllte alle Kriterien. Es wurde sogar vorgeschlagen, dass ich Interviews geben sollte. Von meinem Krankenhausbett aus lehnte ich das ab, mit der Begründung, Bekanntheit so früh in meiner beruflichen Laufbahn würde dieser langfristig schaden. Man bescheinigte mir eine für einen so jungen Menschen ungewöhnliche Weitsicht.
Offiziell war ich krankgeschrieben, doch als ich ins Büro kam, um ein paar Dinge zu holen, empfing mich das Team mit stürmischem Applaus. Ich brach in Tränen aus und wurde so oft umarmt, dass ich glaube, die Trottel haben mir noch eine Rippe gebrochen.
Noch immer sah ich aus wie das Heck eines Busses nach einem Auffahrunfall, aber eigentlich störte mich das nicht. Da ich Schmerzmittel nahm, stellte ich fest, dass ich besser schlief als seit Jahren. Und wenn ich aufwachte, war ein brauner Teddy mit roter Schleife nie weit von meinem Kissen entfernt.
Am ersten Samstagmorgen nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus unternahm ich eine langsame und ziemlich schmerzhafte Fahrt mit dem Bus zum South Bank. In einem der weniger trendigen Cafés nicht weit vom Fluss sah ich eine dünne, blasse junge Frau mit schwarz gefärbtem Haar, die eine Sonnenbrille trug, obwohl es in dem Café ziemlich düster war. Sie schaute nicht auf, als ich auf ihren Tisch zukam, doch ich sah, dass eine Gruppe Teenager in der Nähe sie bemerkt hatte. Sie flüsterten untereinander, und ich fragte mich, wie oft die Frau wohl solch eine ungehobelte, taktlose Behandlung über sich hatte ergehen lassen müssen. Während der letzten paar Tage hatte ich eine Menge darüber gelernt, wie es sich anfühlt, ungewollt angeglotzt zu werden.
»Hi«, sagte ich, als ich nahe genug heran war. Emma Boston blickte auf und schob die Sonnenbrille auf den Scheitel empor.
»Scheiße, Sie sehen ja echt krass aus«, stellte sie fest. Dann grinste sie mich plötzlich an und zeigte für eine Raucherin verblüffend weiße Zähne.
»Setzen Sie sich«, lud sie mich ein. »Immer rein in die Freakshow.«
Gehorsam nahm ich Platz. Ich hatte sie noch nie lächeln sehen.
»Alles okay?«, erkundigte sie sich.
Ich nickte. »Wird schon wieder.«
Die Kellnerin kam, und ich bestellte Kaffee und Käsetoast. Emma ließ sich Kaffee nachschenken.
»Ich fand den Artikel gut, den Sie geschrieben haben«, sagte ich, als wir wieder allein waren. Das war kein unaufrichtiger Bockmist und keine Schmeichelei. Der Beitrag, der auf dem Interview mit mir im Krankenhaus und einem darauf folgenden mit Tulloch basierte, war im Feuilleton einer der großen Zeitungen erschienen, zwei Tage nach meiner Nacht in der Themse. Er hatte sich nicht nur darauf beschränkt, den Vorfall zu schildern, sondern auch ein paar ziemlich grundlegende Fragen danach gestellt, was Männer dazu bringt, auf solch grausame Weise zu töten.
»Ich bin eine gute Journalistin«, meinte sie beinahe trotzig.
»Ich weiß«, erwiderte ich. »Danke, dass Sie meinen Namen nicht genannt haben.«
Sie nickte ganz leicht. »Also, was gibt’s Neues?«, fragte sie. »Ich nehme doch an, Sie haben mich nicht hierhergebeten, damit ich Ihre neue beste Freundin werde. Gibt’s irgendwelche Fortschritte dabei, diese Frau zu finden, mit der Cooper angeblich zusammengewohnt hat? Seine Mum hat mir erzählt, sie hätte sie nie kennengelernt. Allerdings hatte sie Sam auch seit einer ganzen Weile nicht mehr gesehen.«
»Eigentlich hat das hier gar nichts mit dem Ripper-Fall zu tun«, gestand ich und sah auf die Uhr. »Ich habe vielleicht noch eine andere Story für Sie. Das heißt, wenn Sie bereit sind, sich auf etwas Kontroverses einzulassen.«
Sie schenkte mir ein bedächtiges, verschmitztes Lächeln. In diesem Moment hörte ich, wie die Tür sich wieder öffnete, und drehte mich um. Drei junge schwarze Mädchen schauten zu unserem Tisch herüber. Ich stand auf und ging auf sie zu.
»Was is denn mit Ihnen passiert?«, fragte Rona.
»Eine Keilerei mit einem Schleppkahn«, antwortete ich. »Danke, dass ihr gekommen seid. Hallo, Tia.«
Ronas zwölfjährige Schwester, eine kleinere, schlankere, sogar noch hübschere Ausgabe von Rona selbst, lächelte mich schüchtern an.
»Das is Rebecca«, sagte Rona und zeigte auf das andere Mädchen. »Is ’ne Freundin von mir. Hat dasselbe erlebt.«
»Es ist echt nett von euch, dass ihr alle gekommen seid«, sagte ich. »Kommt mit, da ist jemand, mit dem ich euch gern bekannt machen möchte.«
Der Artikel, den Emma
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