Dunkle Gebete
wusste es, irgendjemand würde da bestimmt nicht widerstehen können. Da draußen laufen ein paar unheimlich kranke Typen rum.«
Nachdem sie einmal angefangen hatte zu reden, schien Tulloch nicht mehr aufhören zu können. Schweineherzen bekommt man problemlos bei jedem Metzger. Irgendjemand hielt das Ganze für einen Witz. Vielleicht wollte die Presse die Story am Leben erhalten. Sie hörte nicht auf, bis wir die Bibliothek erreichten. Ich sagte kein Wort; ich war zu sehr damit beschäftigt zu beten, dass sie recht hatte.
Von außen ist die Victoria Library wunderschön: aus zimtfarbenem Backstein gebaut, mit hohen rechteckigen Fenstern mit heller Steinumrandung. Tulloch hielt an einer Bushaltestelle, wies den dort stehenden Streifenpolizisten kurz an, ein Auge auf ihren Wagen zu haben, und betrat das Gebäude durch höchst unviktorianische Automatiktüren. Ich folgte ihr etwas langsamer. Die schnelle Fahrt hierher hatte meinem Brustkorb nicht gutgetan, und außerdem stimmte irgendetwas mit meinen Beinen nicht. Sie funktionierten nicht so, wie sie sollten.
Tullochs Pendant beim Westminster CID , ein hochgewachsener blonder Mann, der sich als DI Allan Simmons vorstellte, wartete drinnen auf uns. Er musterte mich verblüfft (ich hatte noch immer große Ähnlichkeit mit dem Heck eines öffentlichen Verkehrsmittels) und wandte sich dann an Tulloch.
»Das Ding wurde um kurz vor eins auf einem der Schreibtische zurückgelassen«, berichtete er. »Niemand hat’s angefasst. Es waren nur drei Erwachsene im Raum, als es entdeckt wurde. Ich lasse sie alle hier festhalten, und wir nehmen ihre Aussagen auf. Niemand hat die Bibliothek verlassen.«
»Wie sieht’s mit den Überwachungsaufnahmen aus?«, wollte Tulloch wissen, als wir die Eingangshalle durchquerten, über das Absperrband stiegen und durch eine Tür mit der Aufschrift LEIHBIBLIOTHEK traten. Diese war ein großer, rechteckiger Raum mit einer hohen Galerie an drei Seiten. Ein riesiges, gewölbtes Oberlicht ließ jede Menge Tageslicht herein. Simmons lotste uns auf die gegenüberliegende Seite des Raumes, wo sich ein offener Durchgang befand, über dem KINDERBÜCHER stand. Wir gingen dort hindurch.
»Die Kameras haben alles aufgenommen«, sagte Simmons. »Jemand ist hier reingekommen, hat ein Buch von einem der Regale genommen und es dann nach nebenan gebracht. Alles wieder zurück.«
Wir folgten ihm zurück in die Leihbibliothek und in eine weitere Zimmerflucht zur Linken. Dabei kamen wir an einem Bereich vorbei, wo mehrere Leute an PC s gearbeitet hatten, dann ging es durch eine Doppeltür in einen weiteren großen Saal. Ein schwarzes Geländer mit einem Rosenmotiv zog sich an der erhöhten Galerie entlang, und in einer Ecke befand sich eine gusseiserne Wendeltreppe. Eine gewaltige Palme stand in einem Stahltrog in der Mitte des Raumes, und dahinter versperrte ein Polizeifotograf uns die Sicht. Dann wich er zur Seite, und wir drei traten näher an den niedrigen Tisch heran.
Wir sahen einen durchsichtigen Plastikbeutel vor uns, am oberen Ende fest verschlossen. Sein Inhalt war zum Teil fest, zum Teil glibberig; er war hauptsächlich von dunkelroter Farbe und glänzte im grellen Licht. Tulloch zögerte nicht. Sie ging ganz nahe heran und kniete sich auf den Teppich, so dass ihre Augen auf gleicher Höhe waren wie der Beutel.
Er lag auf einem Buch, vermutlich jenem, das aus der Kinderbücherei genommen worden war. Ich trat näher heran, sah die kunstvollen keltischen Lettern und das Bild eines hochgewachsenen Mannes in einem silberweißen Gewand auf dem Einband. Dann ging ich noch näher heran und konnte den Titel lesen. Eine klassische Fantasy-Geschichte für Kinder, die ich viele Male gelesen hatte. Der Zauberstein von Brisingamen.
Ich zog meine Jacke aus. Hier drin war es viel zu heiß; allerdings schien das sonst niemandem aufgefallen zu sein. Ein Schwimmbad. Ein Park. Ein Blumenmarkt. Jetzt eine öffentliche Bibliothek. Und Jack the Ripper. Großer Gott, wer steckte dahinter?
DI Simmons trat hinter Tulloch. Er reichte ihr einen gelben Kugelschreiber. »Versuchen Sie’s damit«, sagte er. Tulloch nahm den Stift und stupste den Beutel damit sachte an. Das meiste von dem, was wir sehen konnten, sah aus wie rote Pampe, doch da drin waren auch sehnige Gewebestückchen und etwas eindeutig Festeres.
»War die Kamera an?«, fragte sie Simmons.
Er nickte. »Wir müssen runter in die Verwaltung, um uns die Aufnahmen anzusehen. Ist es Ihnen recht, wenn ich das
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