Dunkle Gefährtin
unterhaltsam hielten. Hunter und er hatten im vergangenen Jahr viele Tage so verbracht, wenn Tain zu Besuch kam: stumm nebeneinander vor dem Fernseher hockend. Zu lange zu verharren indessen machte Tain unruhig, auch wenn er erkannte, wie wichtig es war, dass das Band zwischen ihm und seinen Brüdern wieder stärker wurde.
Samantha brauchte Lebensessenz, die Tain in Hülle und Fülle besaß. Mithin lag die Lösung auf der Hand. Samantha konnte sich von Tain nehmen, was sie brauchte, ohne ihn jemals zu verletzen, und musste sich keine Gedanken mehr machen, dass sie ihrer Mutter, Logan oder sonstigen Freunden schadete.
Ist das meine Buße?
, fragte er Cerridwen im Geiste.
Dieser Frau meine Lebensessenz zu geben, damit sie den Leuten nicht weh tut, die sie liebt?
Er glaubte nicht, dass das die Abbitte war, die das Universum für ihn vorgesehen hatte, doch das war ihm im Augenblick egal. Samantha konnte von seiner weiß gleißenden Lebensessenz haben, so viel sie wollte, und er würde seinen inneren Schmerz stillen, indem er sie ihr gab.
»Ich darf nicht zu lange herumtrödeln«, sagte Hunter plötzlich. »Um sechs hält Leda einen Vortrag bei irgendeiner Gruppe über Schutzzauber. Sie bringt mich um, wenn ich ihn verpasse.«
Tain wurde neugierig. »Kann ich mitkommen?«
»Klar, wenn du willst«, antwortete Hunter achselzuckend.
Tain sah wieder zum Fernseher, wo sich zwei Ringer gegenseitig zu Boden warfen. Für einen kurzen Moment tauchten Bilder von ihm mit Darius und Hunter inmitten seines Gedankenchaos auf, wie sie rangen, sich dann stritten, wer gewonnen hatte, und schließlich loszogen, um sich zu betrinken. Oder von Adrian und ihm, wie sie an einem Fluss angelten, kein Wort wechselten und nur das Wasser betrachteten, das an ihnen vorbeizog und in dem immer wieder silbrige Schuppen von Fischen aufblitzten, die niemals anbissen.
Tain ließ die Erinnerungen an glückliche Zeiten einfach kommen. Er musste sich nicht einmal fragen, was den Damm geöffnet und sie hereingelassen hatte. Das war passiert, als er eine Halbdämonin vor dem Tod bewahrt und mit ihr den ersten Liebesakt seit Jahrhunderten erlebt hatte – keinen Sex mit Schmerzen.
Samantha war erledigt, als sie an diesem Abend nach Hause kam. Den ganzen Tag über war sie angespannt gewesen, hatte Logan auf Abstand gehalten und alle Anrufe von ihrer Mutter oder ihrem Vater gemieden. Logan bemerkte, dass etwas nicht stimmte – abgesehen davon, dass sie beinahe durch Dämonensäure getötet worden war –, hatte jedoch keine Fragen gestellt, und sie hatte ihm kein Wort gesagt.
Wie fragt man seinen besten Freund, ob man ihm seine Lebensessenz ausgesaugt hat?
Müde stieg sie die Treppe hinauf und ging in ihre Wohnung. Alles war dunkel, Tain fort, und Pickles miaute wie ein Kater, der seit drei Tagen nichts zu fressen bekommen hatte. Sie schaltete das Licht an und sah, dass Tain abgewaschen hatte.
»Was für ein Traummann!«, murmelte sie, während sie die Tür schloss. »Ein One-Night-Stand, der sauber macht, bevor er verschwindet.«
Nachdem sie ihre Handtasche und die Aktentasche auf die Couch geworfen hatte, trottete sie ins Bad. Erst als sie am Waschbecken stand und sich Wasser ins Gesicht spritzte, fiel ihr die fremde Zahnbürste in dem Halter neben ihrer auf.
Ihr erster Gedanke war, dass Hunter sie wahrscheinlich mit Tains Sachen zusammen gebracht hatte und Tain sie schlicht wieder mitzunehmen vergaß – genau wie den Rasierer auf der Duschablage.
Samantha machte das Schlafzimmerlicht an und zog eine Kommodenschublade auf, um sich eines der T-Shirts in Übergröße herauszunehmen, die sie gern zu Hause trug. Sie war voller als zuvor, angereichert um einen Stapel Männer-T-Shirts. Ihre Unterwäsche in der Schublade darüber war ebenfalls zur einen Seite geschoben – ordentlich –, während auf der anderen Boxershorts und zusammengerollte Herrensocken lagen.
Samantha knallte die Schubladen zu und riss den Wandschrank auf. Tain hatte nicht viele Sachen hergebracht; da waren Hemden,
Jeans und ein weiterer Staubmantel, aber sie alle hingen neben ihren. Und in dem Regal oben stand eine leere Reisetasche.
Sie donnerte die Schranktür zu und stürmte hinaus ins Wohnzimmer, wo sie Pickles vorwurfsvoll anstarrte. »Er ist eingezogen!«
Bildete sie es sich ein, oder guckte ihr Kater wirklich höchst selbstzufrieden? Samantha griff nach dem Telefon und wählte Ledas Nummer, weil sie in ihrer Panik jemanden sprechen musste, der sich mit
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