Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Gewaesser

Dunkle Gewaesser

Titel: Dunkle Gewaesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
Vom Netzwerk:
auf den Felsen, von dem aus ich mit dem Stock an ihn rankam. Er war fast blau und wie eine Zecke angeschwollen. Ich stieß ihn so lange mit dem Stock an, bis er endlich freikam und ins Wasser fiel. Die Strömung erfasste ihn sofort, und mit dem Stück Holz, das in ihm drinsteckte, trieb er so leicht davon wie ein Papierboot. Bald konnte ich ihn nicht mehr sehen. Ich blieb lange auf dem Felsen sitzen, ließ mich von der Sonne wärmen und blickte ihm nach. Ich wusste nicht, was ich von dem, was ich gerade getan hatte, halten sollte, aber irgendwie hatte ich ihn nicht einfach den Bussardenüberlassen können, und auf die Felsen zerren und ans Ufer schleppen wollte ich ihn auch nicht.
    Ich warf den Stock weg, und als ich dazu wieder in der Lage war, schwamm ich ans Ufer und ging Richtung Wald. Als ich an den beiden Beuteln vorbeikam, die immer noch dort lagen, wo ich und Terry sie zurückgelassen hatten, starrte ich sie eine ganze Weile an, bis sich etwas, was mir schon lange durch den Kopf gegangen war, mit ein paar anderen Sachen zusammenfügte, und in dem Moment wurde mir speiübel. Ich stützte mich mit der Hand an einer Kiefer ab und erbrach mich über die Rinde.
    Mir war eben ein ganzer Kronleuchter aufgegangen. Dabei war die Sache schon die ganze Zeit sonnenklar gewesen, nur hatte ich es bis dahin nicht begriffen.
    Es dauerte eine Weile, doch als ich mich wieder unter Kontrolle hatte, beschloss ich, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, um den anderen zu erzählen, was ich rausgefunden hatte. Nachdenklich kehrte ich zum Lager zurück. Bis auf Terry, der aussah wie eine wandelnde Leiche, waren alle wach.
    »Ich hab mir Sorgen um dich gemacht«, sagte Mama.
    Das kleine Mädchen, das bisher noch nichts geredet hatte, überraschte mich mit den Worten: »Papa hat gesagt, wir sollen nicht weglaufen. Wenn wir das getan hätten, hätte er uns den Hintern versohlt.«
    »Sie ist kein kleines Mädchen mehr«, sagte Jud, der gerade mit einem Stock das Feuer anschürte. »Was sie tut, ist ihre Sache. Und du hältst jetzt besser die Klappe.«
    Das Mädchen zog einen Schmollmund. Ich versuchte, sie mit einem Lächeln aufzumuntern, aber darauf ließ sie sich nicht ein. Sie wandte den Blick ab und half ihrer Familie, ihre Sachen zusammenzupacken. Nur ein paar Minuten später hatten sie ihre Bündel geschnürt.
    »Wir machen uns wieder auf den Weg«, sagte Clementine undwarf sich ein Bündel über die Schulter. »Wir wünschen euch alles Gute, aber wir müssen trotzdem alleine weiter. Wir möchten nicht unhöflich sein und unsere Christenpflicht vernachlässigen, aber wir können nichts mehr für euch tun. Gebt gut auf euch acht. Ich kann nur wiederholen, was ich schon gesagt hab: Der junge Mann braucht einen Arzt, sonst wird das mit seiner Hand und seinem Arm noch ganz schlimm. Möge der Herr mit euch sein.«
    »Und auch mit euch«, erwiderte Mama.
    Clementine, die bei Tageslicht viel älter aussah als im Schein des Lagerfeuers, nickte uns zu und folgte ihrer Familie, die schon losgelaufen waren. Wir blieben, wo wir waren, während sie an den Schienen entlang davongingen. Eigentlich hätten wir in die gleiche Richtung aufbrechen müssen, aber wie sollten wir das mit Terry schaffen? Wir müssten ihn tragen, aber dann konnten wir unmöglich auf einen Zug aufspringen. Uns blieb nichts anderes übrig, als einen Weg zu finden, das Boot von der Kette loszukriegen und uns damit den Fluss runtertreiben zu lassen.
    Terry war noch immer nicht bei Bewusstsein. Ich betrachtete ihn eingehend, und so krank und verschwitzt er auch sein mochte, war er trotzdem ein hübscher Kerl. Er und May Lynn waren derselbe Typ, und sie hätten gut zusammengepasst. Jinx saß neben ihm auf dem Boden und starrte ihn an. Dabei wirkte ihr Gesicht weich und lieblich, was bei ihr eher selten war. Meistens sah sie aus, als wäre sie mit einem stumpfen Messer aus Lakritze geschnitzt worden, aber wenn sie sich entspannte, war sie ziemlich hübsch und hatte richtige Rehaugen. Schließlich streckte sie die Hand aus und strich Terry das feuchte Haar aus der Stirn.
    Mama stand auf und schaute der Familie nach, die zwischen den Bäumen verschwand. Sie nahm mich beiseite und sagte: »Gestern Abend hätte ich fast ihr Bündel aufgerissen, um an den Schnaps ranzukommen. Ich war drüber weg, bis ich ihn gerochen hab, und da wäre ich der Frau für einen Schluck am liebsten andie Gurgel gesprungen. Aber ich hab mich zusammengerissen, was nicht leicht war. Das war, wie ein

Weitere Kostenlose Bücher