Dunkle Gewaesser
Gott wohin geweht. Aber das war noch nicht alles. Der Sturm setzte bald wieder ein. Und noch mal und noch mal. Wir haben die Fenster repariert und nasse Lumpen in die Ritzen gestopft. Manche haben wir sogar mit Kleister versiegelt. Aber das war den Stürmen egal. Eine Weile dachte ich, es wäre wie in der Bibel, und das Ende aller Tage wäre gekommen. Später wünschte ich mir, dass es so gewesen wäre, denn es war nichts mehr zu essen übrig. Oh, anfangs gab es noch die Kaninchen. Aber die verhungerten genauso wie wir, und sie waren überall. Die waren so mager, dass man drei davon essen musste, um satt zu werden. Selbst geputzt und gekocht schmeckten sie nach Sand. Und als wär das noch nicht genug gewesen, kam dann ein Tornado und blies unser Haus in sämtliche Himmelsrichtungen. Was übrig war, stapelten wir auf unseren Wagen, den es Gott sei Dank nicht davongeweht hatte. Er hat sich zwei, drei Mal überschlagen,stand hinterher aber wieder da, als wäre nichts passiert. Sogar der Motor sprang an, obwohl er voller Sand war.
Also sind wir nach Kalifornien gefahren, um Orangen zu pflücken, aber das war keine gute Idee. Die ganze Welt war da hingegangen. Du konntest den ganzen Tag schuften und hattest dann nicht mal genug Geld für einen Sack Mehl. Dann sind wir hierhergekommen, auch wenn’s keinen richtigen Grund dafür gab. Hier ist es grüner als in Oklahoma, aber Arbeit gibt’s auch keine. Also ziehen wir weiter.«
»Wohin?«, fragte ich.
»Bloß weg von hier.«
»Jetzt hast du ihnen doch unsere Lebensgeschichte erzählt«, sagte die Frau zu dem alten Mann.
»Sieht fast so aus«, erwiderte er und ließ die Schultern hängen. »Was soll ich sagen? Da hat sich einfach ’ne Menge aufgestaut.«
»Dann geht’s dir jetzt hoffentlich besser.« Sie wandte sich zu Jinx um. »Der Junge. Kann der laufen?«
»Ich weiß nicht.«
»Wenn ihr ihn hierher ans Feuer bringt, schau ich mir seine Hand an. Ich hab schon den einen oder anderen zusammengeflickt.«
»Wir können ja versuchen, ihn zu tragen.«
»Jud und Boone hier können euch helfen, wenn ihr wollt«, sagte sie. »Und wir können euch auch was zu essen abgeben.«
»So viel haben wir nicht übrig«, sagte Jud. »Nur ein paar Bohnen, und die reichen kaum für uns.«
»Jud, sei still«, sagte die Frau. »Wir kommen schon klar, selbst wenn’s für jeden nur einen Löffel gibt.«
Jud sah die Frau an und starrte dann ins Feuer. Offenbar wusste er aus Erfahrung, dass er diese Auseinandersetzung nicht gewinnen würde, ob es nun um Bohnen ging oder um irgendwas anderes.
»Da ist noch jemand«, sagte ich. »Meine Mutter.«
»Bringt sie beide her.«
Jud wies mit einer Kopfbewegung auf den Topf im Feuer. »Ihr habt nichts, was ihr dazu beitragen könnt, oder?«
»Nein, Sir«, erwiderte ich. »Tut mir leid. Alles, was wir hatten, ist im Fluss gelandet, außer ein paar Sachen, die nicht essbar sind.«
»Schon gut«, sagte Jud mit einem Seufzen. »Holen wir erst mal euren Freund. Aber ich sag euch gleich, ich hab ’ne Pistole.«
Um das zu beweisen, holte er sie aus der Jackentasche. Sie war ziemlich klein und hatte einen übereinanderliegenden Doppellauf, der nicht ganz gerade zu sein schien. Wenn er abdrückte, musste man wahrscheinlich direkt davor stehen, damit er einen traf – wenn sie ihm nicht gleich in die Luft flog.
»Wir haben keine Lust, erschossen zu werden«, sagte Jinx. Alle starrten sie überrascht an. Sie war die ganze Zeit über so still gewesen, dass sie sie vielleicht für taubstumm gehalten hatten.
»Gibt ja auch keinen Grund dazu«, sagte Jud.
Er steckte die Pistole wieder weg, und wir machten uns auf den Weg zum Fluss.
20
Es war verdammt anstrengend, aber schließlich bekamen wir Terry ans Feuer geschleppt.
Da saßen wir nun, während die Frau – die, wie wir erfuhren, Clementine hieß – Terry untersuchte. Im Feuerschein sah seine Hand absolut furchtbar aus. Sie war dick angeschwollen und dunkelrot, und vom Handgelenk verliefen dunkle Linien aufwärts zum Ellenbogen. Die Wunde stank zum Himmel, wie fauliges Fleisch.
Die Männer starrten beide Mama an. Bestimmt wollten sie nicht unhöflich sein, aber im Wald trifft man eben nicht jeden Tag so jemand wie sie. Obwohl sie aussah wie ein begossener Pudel, war sie trotzdem etwas Besonderes, und insgeheim beneidete ich sie. Wahrscheinlich sah ich ganz okay aus, aber mit ihr würde ich es bestimmt nie aufnehmen können.
»Was ist in den Eimern?«, wollte Jud wissen. Wir hatten unsere
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