Dunkle Gewaesser
»Ich glaube nicht, dass Ihr Daddy oder Ihre Mama Skunk gekannt haben. Das haben Sie sich doch nur ausgedacht.«
»Ich hab’s erzählt, wie es mir erzählt wurde«, erwiderte sie. »Von ehrlichen Weißen, denen ich vertraut habe.«
»Ha«, sagte Jinx.
»Ich weiß noch ein paar Einzelheiten mehr«, sagte die alte Frau. »Nachdem Skunk erwachsen war und alle dachten, er würde irgendwo tot im Wald liegen und verfaulen, ist er zurückgekommen. Inzwischen war er ein junger Mann geworden, und irgendwie hatte er überlebt. Daddy hat erzählt, dass Justin eines Morgens runter zu Mary in die Hütte gegangen ist, weil er heimlich was mit ihr hatte, und da fand er sie gehäutet und wie ein Hirschfell an die Wand genagelt. Sie bestand nur aus Kopf und Haut, und er hatte ihr ein Paddel zwischen die Zähne gerammt. Offenbar hat er nie vergessen, was sie ihm angetan hat, und deshalb wussten auch alle, wer das gewesen ist. Was in ihr drin gewesen war, lag jetzt vor dem Haus auf einem Hackklotz und war sogar noch warm. Turpin hatte Skunk nur um ein paar Minuten verpasst. Ihre Hände waren weg. Abgehackt. Es heißt, das macht er jetzt immer, wenn er jemand umbringt, weil seine Mama ihn mit den Händen unter Wasser gehalten hat, während er versuchte, nach Luft zu schnappen,und die Hände haben ihn runtergedrückt. Ich kann mich nicht dafür verbürgen, dass das wirklich stimmt, aber die Leute behaupten es. Er mag keine Hände, weil ein Paar Hände ihn fast ertränkt hat.
Jedenfalls wurde er mit der Zeit in der ganzen Gegend bekannt, und es hat sich rumgesprochen, dass er sich als Fährtenleser und Mörder anheuern ließ, wenn man ihm das bezahlte, was er verlangte. Ich hab geglaubt, er wär inzwischen tot, aber wenn ihr die Wahrheit erzählt, ist er das wohl nicht.«
»Nein«, sagte ich. »Das ist er nicht. Aber wir haben ihn seit Tagen nicht mehr gesehen.«
»Er ist wie die Hitze, wie Wind, Regen und die Erde«, sagte die alte Frau. »Ihm bedeuten Tage nichts. Zeit ist ihm gleichgültig. Er tut, was er tut, weil er etwas dafür bekommt. Schuhe, was zu essen, einen Hut. Wenigstens sind das die Gründe, wenn man die Sache oberflächlich betrachtet, aber sobald man ein wenig an dieser Oberfläche kratzt, dann stellt man fest, dass er es macht, weil es ihm gefällt. Er hat Geschmack am Töten gefunden. Wenn er sich etwas vorgenommen hat, dann macht er das auch, selbst wenn es eine halbe Ewigkeit dauert. Weder Tod noch Teufel können ihn davon abhalten. Und jetzt habt ihr diesen eiskalten Mörder an meine Tür geführt.«
»Ich dachte, Sie wollten Gesellschaft haben«, sagte Jinx.
Die alte Frau schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich spielt das sowieso keine Rolle mehr. Das Schicksal hat mich in seiner Hand. Ich werde bald sterben.«
»Sie sind wirklich nicht mehr ganz richtig im Kopf!«, sagte Jinx. »Sie sind fast dreihundert Jahre alt. Natürlich sterben Sie bald. Eigentlich müssten Sie längst tot sein.«
»Seid leise, Kinder«, sagte Mama. »Sonst wecken wir noch Terry. Und der braucht seine Ruhe.«
23
Es war früh am Morgen, und die Sonne sickerte wie Flusswasser am Rande der Fensterläden durch, aber das weckte mich nicht auf. Irgendjemand schrie.
Ich sprang auf, die Flinte in der Hand. Die Schreie kamen aus dem Schlafzimmer. Die Tür stand offen, und ich sah, dass Terry bei Bewusstsein war. Offenbar hatte er starke Schmerzen, und außerdem war ihm wohl klar geworden, dass ihm ein Arm abgenommen worden war, ohne dass ihn jemand gefragt hätte. Er hatte sich aufgesetzt und versuchte aus dem Bett zu steigen.
Jinx hatte sich auf ihn geworfen und hielt ihn an seinem guten Arm fest. Aber für einen erschöpften einarmigen Kerl war er noch ganz schön stark.
Ich und Mama stürzten zu ihnen rein und versuchten Terry zu beruhigen, aber das brachte nichts. Er schrie und zeterte in einem fort und strampelte wie verrückt. Es brauchte uns alle drei, um ihn auf der Matratze festzunageln. Schließlich holte ihn das, was passiert war, ein, und er fiel ohnmächtig auf das Bett zurück.
Wir waren alle ziemlich aufgewühlt. Nachdem wir uns vergewissert hatten, dass sein Stumpf nicht blutete, gingen wir raus und schlossen die Tür.
»Als er aufgewacht ist, hat er mich angebrüllt, ich soll seinen Arm wieder dranmachen«, sagte Jinx. »Ich hab versucht, ihm zu erklären, dass uns nix anderes übriggeblieben ist.«
Die alte Frau in ihrem Schaukelstuhl hatte sich nicht im Mindesten gerührt. Jinx brachte das zur Weißglut.
»Ihnen
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