Dunkle Gewaesser
laden. Außerdem ist im Schrank noch eine alte Flinte. Dieist schon geladen, und außerdem steht noch eine Schachtel Munition daneben. Die wollte ich mir später holen, um euch damit den Schädel wegzublasen, aber ich glaub nicht, dass ich noch mal allein aus diesem Stuhl rauskomm, und ihr werdet mir bestimmt nicht dabei helfen.«
»Darauf können Sie Gift nehmen«, rief Jinx herüber.
Ich ging die Pistolenkugeln holen und nahm die Flinte und die Schachtel Munition aus dem Schrank. Die Pistole gab ich Jinx, und sie lud sie, während ich mit der Flinte ins Wohnzimmer zurückging. Es war eine zweiläufige, Kaliber 12. Ich setzte mich auf den Boden, legte mir die Flinte über den Schoß und stellte die Schachtel neben mich.
»Der hat doch bestimmt schon aufgegeben«, sagte Mama.
»Der gibt nie auf«, erwiderte die alte Frau. »Er macht vielleicht Pause, weil ihm langweilig ist, oder schaut sich irgendwas anderes an, was ihn interessiert, aber der kommt wieder.«
»Sie kennen doch auch nur die alten Geschichten«, sagte ich.
Die Alte schüttelte den Kopf und leckte sich die Lippen. »Meine Mama und mein Daddy haben Skunks Mama gekannt. Nachdem die Sklaven freigelassen wurden, hat sie für unsere Familie gearbeitet – Wäsche waschen, kochen und so was. Gewohnt hat sie am hinteren Ende des Anwesens von ihrem ehemaligen Eigentümer, Eval Turpin. Der war lange tot, aber sein Enkel Justin lebte dort, ganz ohne Familie. Die freigelassenen Sklaven durften auf der Farm wohnen, und auch die Kinder und die Kinder ihrer Kinder. Er stellte sie nicht ein und bezahlte sie auch nicht, denn er hatte selbst nichts. Wie bei meiner Familie – als die Baumwolle nicht mehr das große Ding war, ging seine Familie pleite und blieb es auch.
Eine der Frauen, die dort wohnten, hieß Mary, und sie hatte was mit einem Kerl, der halb Comanche, halb Nigger war. Von dem bekam sie ein Kind, das sie Absalom nannte. Der Junge war nichtganz richtig im Kopf, er scharrte immer nur mit einem Stock auf dem Boden rum, tötete Ameisen und grinste dümmlich. Das hat jedenfalls Daddy gesagt. Hat die ganze Zeit geredet, aber meistens Unsinn. Es heißt sogar, er hätte einen von Daddys Jagdhunden getötet, indem er ihm Fleisch verfütterte, unter das er Glasscherben gemischt hatte. Daddy war sich nie sicher, aber er hatte ihn in Verdacht. Das war ein wirklich braver Hund gewesen, der Absalom hinterhergelaufen war, als gehörte er ihm, und dann macht der Junge so was. Wahrscheinlich wollte er ihn nur leiden sehen.
Als Absalom klein war, hatte sein Daddy, der Mischling, sein ewiges Gebrabbel irgendwann satt und riss ihm mit einer Zange die Zunge raus. Dann ist er abgehauen und wurde nie wieder gesehn. Ein paar Jahre später, als der Junge zehn war, bekam seine Mutter es allmählich mit der Angst zu tun. Sie hat erzählt, dass sie nachts aufwachte, und der Junge stand neben dem Bett und starrte sie an, als wäre sie eine Ameise. Eines Morgens hat sie ihn gepackt, in ein Boot gezerrt und ist mit ihm rausgefahren. Das war am Geburtstag des Jungen, und später hat sie gesagt, das wäre der richtige Zeitpunkt gewesen. Sie erzählte ihm, dass sie angeln gehn wollten, aber dann schubste sie ihn aus dem Boot und drückte ihn unter Wasser.
Mein Daddy hat erzählt, dass sie nicht mal ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie glaubte, dass mit dem Jungen irgendwas nicht in Ordnung war, und dass sie nur getan hatte, was sie tun musste. Was der liebe Gott von ihr erwartete. Sie hat erzählt, dass sie zwischen ihren Fingern hindurch die Augen des Jungen gesehn hat, wie er sie unter Wasser anstarrte. Und die Augen wären so kalt wie Murmeln gewesen. Aber er ist nicht ertrunken. Sie hat mit dem Paddel auf ihn eingeprügelt, und dann ist er davongetrieben. Sie dachte, er wär tot. Aber er ist am Ufer gestrandet und hat überlebt. Seither haust er wie ein wildes Tier im Wald. Und deshalb stinkt er auch so und wird Skunk genannt.«
»Die Geschichte hab ich meinen Freunden auch schon erzählt«, sagte Jinx.
»Na also«, sagte die Alte, »wenn du sie so erzählt hast wie ich, dann hast du die Wahrheit gesprochen.«
»Das mit der Zange war mir neu«, sagte Jinx.
»Auf die Einzelheiten kommt es an«, sagte die alte Frau.
»Sie haben gar nicht erwähnt, dass er dort, wo er sich niederlässt, immer lauter Knochen aufhängt, und die rasseln dann im Wind.«
»Das hab ich auch noch nie gehört.«
»Sie haben nur eine Geschichte erzählt, wie sie viele erzählen«, sagte Jinx.
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