Dunkle Halunken: Roman (German Edition)
dann? Oh, Dodger hatte das eine oder andere halbherzige Wort an die Lady gerichtet, wie man das so machte, aber so richtig gebetet, mit Herz und Seele, das hatte er noch nie. Und als er so dastand, umgeben von den Geräuschen Londons, die ihm gedämpft durch die Abflussgitter ans Ohr drangen, mit einem Mörder auf den Fersen … Da verspürte er das Bedürfnis nach einem Gebet.
Er begann auf die altehrwürdige Weise, indem er sich räusperte, und er wollte auch noch ausspucken, zögerte aber, denn unter den gegebenen Umständen wollte er niemanden beleidigen. In der Kanalisation war es besser, nicht niederzuknien, und so straffte er die Gestalt und sagte: »Entschuldige, ich weiß nicht recht, was ich sagen soll, Lady, und das ist die Wahrheit. Ich meine, es ist nicht so, dass ich ein Mörder bin, oder? Und ich verspreche dir, wenn Simplicity nichts zustößt, bekommt das arme Mädchen im Leichenhaus von Four Farthings ein Begräbnis in Lavender Hill. Ich kümmere mich persönlich darum, auch um Blumen.« Er zögerte und fuhr dann fort: »Und sie wird auch einen Namen bekommen, damit ich mich an sie erinnern kann, und das wär’s, Lady, denn die Welt ist ziemlich übel und äußerst beschwerlich. Man kann nur versuchen, immer sein Bestes zu geben, und ich bin nur Dodger.«
Ein leises Geräusch folgte. Dodger senkte den Blick und sah eine Ratte, die ihm über den Stiefel lief. War das ein Zeichen? Er wünschte sich eins. Es sollte Zeichen geben, und wenn es ein Zeichen gab, sollte es vielleicht ein Schild tragen mit dem Hinweis, dass es sich um ein Zeichen handelte. War es ein Zeichen oder einfach nur eine Ratte? Gab es da überhaupt einen Unterschied? Die Lady war immer von Ratten umgeben, und Dodger hoffte insgeheim, ein wunderschönes Gesicht zu sehen, das vor den nassen Backsteinen der Kanalwand erschien.
Oben rasselte und klapperte der Verkehr, und die gelegentliche Stille blieb still, weshalb Dodger nach einer Weile hinzufügte: »Opa, von dem du bestimmt gehört hast, erzählte mir, dass du immer Schuhe trägst. Ich meine, keine Stiefel, sondern richtige Schuhe. Wenn du dich also entschließen könntest, mir zu helfen … Dann schenke ich dir das beste Paar Schuhe, das man mit Geld kaufen kann. Danke im Voraus, dein Dodger.«
An jenem Nachmittag zeigte sich Solomon erstaunt angesichts der Sorgfalt, mit der sich Dodger auf das Theater vorbereitete.
Er schrubbte sich besonders gründlich ab, selbst die Stellen, die nur schwer zugänglich waren, und dachte dabei an den Ausländer. Er hatte nie zuvor von ihm gehört, aber man musste auch nicht über alle Leute Bescheid wissen, und ein Anschlag im Theater war eher unwahrscheinlich, oder? Doch später, in seiner privaten Welt hinter dem Vorhang, als Solomon seine eigenen Waschungen mit erstaunlich viel Geplätscher und Gebrumm erledigte, holte Dodger vorsichtig Sweeney Todds Rasiermesser aus dem Versteck und betrachtete es.
Es war ein Rasiermesser, nur ein Rasiermesser. Aber es bedeutete auch Furcht und war zu einer Legende geworden. Er konnte es ganz leicht einstecken. Izzy hatte hervorragende Arbeit geleistet – die Jacke hatte eine Innentasche in genau der richtigen Größe. Da die Jacke ursprünglich für Sir Robert Peel vorgesehen gewesen war, fragte sich Dodger, ob der oberste Peeler sie für die Gegenstände gebraucht hatte, die ein Gentleman, der auf bestimmten Straßen unterwegs war, manchmal schnell zur Hand nehmen musste, zum Beispiel einen Schlagring.
Er seufzte und legte das Rasiermesser ins Versteck zurück, denn er wusste nicht, ob er mit dem Ding in der Tasche neben Simplicity sitzen wollte. Dieser Gedanke bestürzte ihn ein wenig, und er dachte: Sweeney Todd hat Menschen ermordet, aber er ist eigentlich kein Mörder. Der Krieg hat ihn um den Verstand gebracht; andernfalls wäre er vielleicht ein ganz gewöhnlicher Friseur gewesen, der seinen Kunden nicht die Kehle durchschnitt. Aber von welcher Seite Dodger die Sache auch betrachtete: Dies war nicht der geeignete Tag für Sweeney Todds Rasiermesser, Dodger auf der Straße Gesellschaft zu leisten.
Angela hatte Solomon mitgeteilt, dass eine Kutsche sie abholen und zum Theater bringen werde. Dodger hielt schon eine Stunde vor der vereinbarten Zeit nach ihr Ausschau, und als sie schließlich kam, stellte er zufrieden fest, dass zwei geschniegelte, aber recht muskulöse Lakaien sie begleiteten. Ihre steinernen Mienen und wissenden Blicke machten deutlich, dass sie es mit jedem aufzunehmen
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