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Dunkle Halunken: Roman (German Edition)

Dunkle Halunken: Roman (German Edition)

Titel: Dunkle Halunken: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Nägel?«
    Der junge Mann grinste höhnisch. »Weißt du denn gar nichts? Damit schaffen wir mehr Ordnung auf unseren Schreibtischen. Auf den Nagel spießen wir die Angelegenheiten, die erledigt sind oder die wir nicht mehr brauchen.«
    Dodger dachte darüber nach und fragte dann: »Warum schmeißen Sie den fertigen Kram nicht einfach weg, anstatt alles zuzumüllen?«
    Der Angestellte bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. »Bist du dumm? Angenommen, später wird eine Sache wieder wichtig. Dann müssen wir nur auf dem Nagel suchen.«
    Während dieses Wortwechsels hoben die anderen Angestellten kurz die Köpfe und setzten dann ihre Arbeit an den Aufgaben fort, die zu erledigen waren. Zuvor aber musterten sie Dodger und gaben ihm wortlos zu verstehen, dass er hier nicht wichtig war, im Gegensatz zu ihnen. Ihm fiel auf, dass ihre Kleidung kaum besser war als seine mehrmals gebrauchten Sachen, aber er hielt es für ratsam, auf einen entsprechenden Hinweis zu verzichten.
    Und so begnügte er sich damit zu warten. Bis ein Mann mit einer Maske, die sein halbes Gesicht bedeckte, durch die Tür stürmte – der Türsteher war in eine nahe Gasse pinkeln gegangen, hastete gerade zurück und fummelte dabei an den Knöpfen seines Hosenschlitzes herum. Der Maskierte richtete ein Messer auf den obersten Angestellten und rief: »Her mit dem Geld, oder ich schlitze dir den Bauch auf! Und niemand rührt sich!«
    Es war ein großes Messer, ein Brotmesser mit Wellenschliff, wie geschaffen für einen Haushalt, in dem ein Laib Brot aufgeschnitten werden sollte, aber nicht minder gut geeignet, einen Menschen zu durchbohren, fand Dodger. In der sich ausbreitenden entsetzten Stille wurde ihm klar, dass der Maskierte die größte Angst ausstand, während er alle Angestellten gleichzeitig im Auge zu behalten versuchte. Dem neben der Tür sitzenden Jungen schenkte er keine Beachtung.
    Dodger dachte: Er weiß nicht, was er tun soll, und glaubt vielleicht, einen dieser Trottel, die ihn anstarren und sich in die Hose machen, niederstechen zu müssen. Und er weiß auch, was mit ihm passiert, wenn er jemanden absticht – dann endet er im Gefängnis Newgate und baumelt dort am Galgen. Diese Gedanken rauschten wie ein Eisenbahnzug durch Dodgers Kopf, und gewissermaßen im Schaffnerabteil reiste die Erinnerung an diese Stimme und den mit ihr einhergehenden Geruch nach Gin. Und er wusste, dass der Mann eigentlich gar kein schlechter Kerl war, und er wusste auch, was ihn zu einer derartigen Verzweiflungstat getrieben hatte.
    Dodger sah nur eine Möglichkeit. Er riss den Nagel vom nächsten Schreibtisch und hielt ihn so an den schweißfeuchten Hals des Mannes, dass die Spitze in die Haut piekte. Dann raunte er dem Möchtegerndieb mit gedämpfter Stimme ins Ohr: »Lass das Messer fallen, jetzt sofort, wenn du nicht durch drei Nasenlöcher atmen willst. Sieh mich an – ich bin’s, Dodger! Du kennst mich. Dodger, kapiert?« Lauter sagte er: »So etwas dulden wir hier nicht, du Mistkerl!«
    Er konnte die Erleichterung des Mannes geradezu riechen, und zweifellos roch er reichlich Gin, als er ihn nach draußen in den Nebel zerrte. Die Angestellten schrien Zeter und Mordio, und Dodger rief: »Ich halte ihn fest, keine Sorge!« Schnellen Schrittes ging er weiter, zerrte den Mann am Türsteher vorbei, der roten Zorn im Gesicht hatte, und in die nächste Gasse, wo er den verhinderten Dieb – der, so sollte an dieser Stelle betont werden, ein wenig durch sein Holzbein mit dem Metallstück am Ende behindert war – in eine dunkle Ecke drückte.
    Die Gasse roch wie alle Gassen, vor allem nach Verzweiflung und Ungeduld und inzwischen auch nach Onan, der gerade eine Duftmarke gesetzt und den Gassengerüchen damit einen preisverdächtigen Gestank hinzugefügt hatte. Zum Glück legte der Nebel eine Decke darüber. Es stank natürlich, aber das galt auch für den Mann, der offenbar nicht nur seine Blase entleert hatte.
    Zufrieden hörte Dodger ein Geräusch, das nur von einem zu Boden fallenden Messer stammen konnte. Er trat es in die Dunkelheit, packte den Mann am Kragen, zog ihn zum anderen Ende der Gasse, über die Straße und in eine Ecke.
    »Holzbein Higgins!«, sagte er. »Der Schlag soll mich treffen, wenn du nicht der dümmste Dieb bist, dem ich je begegnet bin. Wenn du noch einmal einen so verdammten Mist baust, wird es damit enden, dass die Gefängniswärter unter deinen baumelnden Beinen singen, du Blödmann!« Dodger schniefte und stöhnte.

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