Dunkle Halunken: Roman (German Edition)
Möglicherweise hätte der Spaß beim Finden aufgehört, denn die Biester hatten Hauer. Derzeit, so hatte man ihm erzählt, waren die einzigen Ungeheuer der Fleet Street die Druckmaschinen, die so heftig stampften, dass der Boden erzitterte. Jeden Tag wollten sie gefüttert werden – mit einer Mahlzeit aus Politik, grausigen Morden und Todesfällen.
Natürlich gab es noch andere Ereignisse, aber alle waren scharf auf einen grausigen Mord, nicht wahr? Und überall auf der Straße zogen Männer Rollwagen, trugen Papierstapel oder liefen in furchtbarer Eile mit Papierstücken in der Hand umher, um der Welt zu erklären, was geschehen war, warum es geschehen war, was hätte geschehen sollen und manchmal, warum es nicht geschehen war, obwohl es sich sehr wohl zugetragen hatte. Und natürlich, um allen mitzuteilen, wer auf grausige Weise ermordet worden war. Es schien drunter und drüber zu gehen, und in diesem Durcheinander musste Dodger den Chronicle finden, wobei erschwerend hinzukam, dass er nicht gut lesen konnte, vor allem keine so langen Worte.
Schließlich wies ihm ein Drucker mit einem viereckigen Hut den Weg und warf ihm dabei einen Blick zu, der besagte: Wag bloß nicht, hier etwas zu stehlen! Dodger fand das ziemlich beleidigend, denn Toshen war kein Stehlen, und das sollten doch eigentlich alle wissen, oder? Zumindest wussten es alle Tosher.
Er band Onan an einem Geländer fest und vertraute darauf, dass ihn wegen des Geruchs niemand stehlen würde. Dann stieg er die Stufen zum Morning Chronicle hoch, wo er verständlicherweise von einem der Männer angehalten wurde, deren Aufgabe darin bestand, Leute wie ihn anzuhalten. Sein Job schien ihm zu gefallen, und er trug einen Hut, der das bewies, und das Gesicht darunter sprach: »Leute wie du haben hier nichts verloren, Junge. Verschwinde und geh woanders klauen in deinem grässlichen Anzug! Ha, siehst aus, als hättest du ihn von einem Toten!«
Dodger achtete darauf, seinen Gesichtsausdruck nicht zu verändern, aber er straffte die Schultern und sagte: »Mister Dickens erwartet mich. Er hat mich mit einer Mission beauftragt.« Während ihn der Mann noch groß anstarrte, holte Dodger Charlies Visitenkarte hervor. »Und er hat mir seine Karte gegeben und mir gesagt, dass ich zu ihm kommen soll. Kriegen Sie das in Ihren Kopf, Mister?«
Der Türsteher warf ihm einen finsteren Blick zu, doch der Name Dickens zeitigte aus irgendeinem Grund Wirkung, denn ein anderer emsig wirkender Mann kam, starrte Dodger an, starrte auf die Karte, starrte Dodger noch einmal an und sagte: »Komm rein, aber stiehl nichts!«
»Danke, Sir, ich werde mir alle Mühe geben«, versprach Dodger.
Der Mann führte ihn in einen kleinen Raum mit Schreibtischen und Büroangestellten, die alle den Eindruck erweckten, mit überaus wichtigen Aufgaben beschäftigt zu sein. Der Angestellte am nächsten Schreibtisch – er schien den anderen Anweisungen zu erteilen – beobachtete ihn wie ein Frosch eine Schlange, die Hand dicht neben einer Glocke.
Dodger setzte sich auf die Bank neben der Tür und wartete. Es kam bereits Nebel auf – das war um diese Tageszeit immer der Fall –, und erste Schwaden krochen durch die offene Tür. Sie erschienen Dodger manchmal wie eine luftige Version der Themse, und sie wogten und schimmerten, als hätte jemand einen Eimer voller Schlangen auf der Straße ausgeleert. Meistens war der Nebel gelb, aber er konnte auch schwarz sein, insbesondere dann, wenn die Ziegeleien arbeiteten. Der nächste Angestellte stand auf, richtete einen argwöhnischen Blick auf Dodger und schloss die Tür. Dodger schenkte ihm ein fröhliches Lächeln, das den Mann ärgerte und damit seinen Zweck erfüllte.
Hier gab es ohnehin nicht viel zu finden, es sei denn, man hatte es auf Papier abgesehen. Davon gab es überall mehr als genug, und hinzu kamen Aktenschränke, Becher, der Geruch von Tabak und Bücher mit Zetteln darin, offenbar als Markierung für bestimmte Stellen. Dodger bemerkte etwas Sonderbares: einen großen Nagel auf jedem Schreibtisch. Was hatte es damit auf sich? Bei jedem dieser Nägel wies die Spitze nach oben; unten waren sie auf einem Stück Holz befestigt. Aber warum sollte man dreißig Zentimeter lange Nägel so aufstellen, dass sich jemand daran verletzen konnte?
Er deutete auf einen davon, wandte sich an den nächsten Angestellten und fragte in einem Tonfall, der nur unschuldige Neugier zum Ausdruck brachte: »Entschuldigen Sie, Mister, was bedeuten diese
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