Dunkle Halunken: Roman (German Edition)
den gerade erwähnten Zuckerwürfeln vollzustopfen. »Napoleon, ja«, sagte er. »Ein Franzmann, General oder so. Deshalb haben wir alte Knacker auf den Straßen, die betteln, manchmal mit einem Messer, stimmt’s?«
»Nun«, sagte Charlie, »er war unter anderem dafür berühmt, was er über seine Generäle sagte. Angeblich kam es ihm bei ihnen vor allem auf Glück an. Und du, Mister Dodger, scheinst das Glück auf deiner Seite zu haben, denn etwas an dieser kurzen Eskapade stinkt ebenso zum Himmel wie uralter Käse. Ich glaube, ich verstehe dich, Dodger, und deshalb werde ich dem Herausgeber eine kleine Ehrung empfehlen, zu der vielleicht auch ein halber Sovereign oder zwei gehören. Allerdings werde ich ihn auch darauf hinweisen, dass er deinen Namen besser nicht in die Zeitung setzt, denn unter Umständen könntest du in Zukunft nur mit Mühe Freunde finden. Wenn man in den Schatten lebt wie du, macht es sich nicht gut im Curriculum Vitae, der Polizei zu helfen. Du hast Glück, Dodger, und je mehr du mir hilfst, desto mehr Glück wirst du haben.« Seine Hand glitt in die Tasche, und Dodger vernahm das unverwechselbare Klimpern von Münzen. »Was hast du herausgefunden?«
Dodger erzählte ihm von der Kutsche und der jungen Frau. Charlie hörte aufmerksam zu.
Als er fertig war, fragte Charlie: »Sie hat also kein Wappen an der Tür gesehen? Und welche Art von Ausländisch meinte sie? Französisch? Deutsch?«
Zu Charlies großer Überraschung erwiderte Dodger mit fester Stimme: »Mister Charlie, ich weiß, wie die Wappen an den Kutschen aussehen, und ich erkenne die meisten Sprachen. Aber wissen Sie, in diesem Fall ergeht es mir wie Ihnen. Ich habe es mit einer Informantin zu tun, die nicht schlau genug ist, allzu viel zu bemerken.«
Charlie maß Dodger mit traurigem Blick. »Du bist eine Art Tabula rasa, Dodger, ein unbeschriebenes Blatt. Du bist intelligent, o ja, aber leider hast du kaum Gelegenheit, deine Intelligenz unter Beweis zu stellen. Es bekümmert mich, ja, es bekümmert mich wirklich, aber ich sehe auch, dass du so vernünftig warst und dir neue Kleidung beschafft hast – das Beste, was ein Gebrauchtladen zu bieten hatte.« Er lächelte, als er Dodgers Gesichtsausdruck sah, und fuhr fort: »Was? Glaubst du etwa, Leute wie ich wüssten über solche Läden nicht Bescheid? Glaub mir, mein Freund, in dieser Stadt gibt es nur wenige Tiefen, die ich nicht ausgelotet habe. Aber um zu etwas Erfreulicherem überzugehen … Du hörst sicher gern, dass sich die junge Dame, die du gerettet hast, gut erholt. Soweit ich weiß, wurde sie bisher noch nicht als vermisst gemeldet, obgleich es Anzeichen dafür gibt, dass sie keine Obdachlose ist. Ihr Verschwinden hätte also gemeldet werden sollen. Verstehst du? Sie kann noch nicht sehr gut sprechen – offenbar ist sie nicht imstande zu erklären, was ihr widerfuhr –, aber sie scheint Englisch zu verstehen. Ich halte sie für eine Ausländerin, und zwar für eine ganz besondere Ausländerin. Warum ich dieser Meinung bin, kann ich allerdings noch nicht sagen. Außerdem nehme ich an, dass höheren Orts wegen ihr einige Aufregung herrscht. Das Wappen ihres Rings gibt Anlass zu einigen interessanten Fragen, und mein Freund Sir Robert Peel ist sehr umsichtig, weshalb ich vermute, dass sich etwas abspielt. Wie du weißt, schreibe ich für Zeitungen, aber nicht alles, was ein Zeitungsjournalist weiß, wird auch gedruckt.«
Etwas spielt sich ab, dachte Dodger. Wenn dies ein Spiel war, dann musste er daran teilnehmen und gewinnen. Aber welches Spiel führte dazu, dass eine junge Frau auf so grausame Weise zusammengeschlagen wurde? Ein solches Spiel musste er beenden. Im lauten Kaffeehaus, umgeben von Tabakrauch, wurde er ein wenig verlegen, als er ein Gebet murmelte, das der Lady galt: »Ich bin dir nie begegnet, Lady, aber du kennst Opa, und ich hoffe, er ist bei dir. Tja, ich bin Dodger, und Opa hat mich zum König der Tosher gemacht, und ein bisschen Hilfe von dir würde gewiss nicht schaden. Besten Dank im Voraus, dein Dodger.«
Der Lärm im Kaffeehaus war inzwischen so groß geworden, dass er kaum die eigenen Gedanken hörte, geschweige denn eine Antwort der Lady oder eine Ergänzung von Charlies bisherigen Ausführungen, aber Dodger versuchte trotzdem, noch einige Worte an ihn zu richten. »Wenn niemand eine Vermisstenanzeige aufgegeben hat … Es bedeutet vielleicht, dass die junge Frau noch gar nicht vermisst wird oder dass die betreffenden Leute hoffen,
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