Dunkle Halunken: Roman (German Edition)
als die anderen Blumenmädchen, die – wie konnte es anders sein – geeignetere Qualifikationen dafür mitbrachten. Er hatte bereits recht viele seiner Veilchen verkauft, denn zu jener Zeit war er noch nicht im Stimmbruch gewesen und konnte tatsächlich als Jungfräulein durchgehen, wenn er wollte. Nach einigen auf diese Weise verbrachten Stunden erzählten ihm die Mädchen von einem besonders garstigen Burschen, der sich gern bei den Jüngsten von ihnen herumtrieb und gerade mit seinem hübschen Mantel, dem Gehstock und dem Klimpergeld in der Tasche unterwegs war. Und die Straße applaudierte, als ein plötzlich recht athletisches Blumenmädchen den schmierigen Mistkerl packte, ihn schlug und in eine Gasse zerrte, wo es dafür sorgte, dass er für eine Weile nichts mehr in seiner Tasche klimpern ließ.
Das war einer von Dodgers sehr guten Tagen gewesen, denn … Nun, zunächst einmal hatte er eine gute Tat für die Blumenmädchen vollbracht, was ihm gelegentlich einen Kuss und die eine oder andere Schmuserei wie zwischen guten Freunden einbrachte. Außerdem hatte er den Gentleman stöhnend in der Gasse zurückgelassen, nicht nur ohne dessen Unterhose [5] , sondern auch ohne: eine Golduhr, eine Guinee, zwei Sovereigns, einige kleinere Münzen und einen Gehstock aus Ebenholz mit silbernem Besatz. Als Bonus kam hinzu, dass sich dieser Mann auf keinen Fall an die Peeler wenden würde. Und: Nach Dodgers bestem Schlag seit langer Zeit hatte der Bursche einen Goldzahn gespuckt. Dodger hatte ihn mitten in der Luft aufgefangen, was ihm zusätzlichen Applaus der Blumenmädchen einbrachte, und für eine Weile fühlte er sich wie der Hahn im Korb. Er hatte mit den älteren Mädchen Austernsuppe gegessen, und es war der beste Tag gewesen, den sich ein junger Mann wünschen konnte. Es lohnte sich immer, eine gute Tat zu vollbringen, obwohl dies vor der Rettung Solomons geschehen war, der gewisse Einzelheiten von Dodgers Handeln nicht gutgeheißen hätte.
Als Dodger praktisch schon zu Hause war, ließ er in seiner Wachsamkeit nach, und plötzlich landete eine Hand auf seiner Schulter. Sie griff erstaunlich fest zu, wenn man bedachte, dass ihr Eigentümer sie vor allem zum Schreiben benutzte.
»Mein lieber Dodger! Du würdest staunen, wie lange es gedauert hat, mit einer Kutsche hierherzugelangen. Und, wenn ich das sagen darf, die Kanalisation war nicht sonderlich freundlich zu deinem Anzug. Gibt es hier in der Nähe ein Kaffeehaus?«
Das bezweifelte Dodger, aber er wies darauf hin, dass man bei einer der Pastetenbuden vielleicht auch Kaffee bekam. »Wie er schmeckt, kann ich nicht sagen«, fügte er hinzu. »Ein bisschen wie die Pasteten, nehme ich an. Ich meine, um dort zu essen, muss man wirklich sehr hungrig sein, wenn du verstehst, was ich meine.«
Schließlich führte er Charlie zu einem Pub, wo sie miteinander reden konnten, wo ihnen niemand zuhörte und wo sich kaum ein Taschendieb an Charlie heranmachte. Als Dodger eintrat, war er noch mehr Dodger als zuvor: Dodger im Quadrat, ein toffer und taffer Typ, Freund aller Slumbewohner. Er schüttelte dem Wirt namens Quince die Hand, außerdem auch einigen anderen Anwesenden, die einen zweifelhaften Ruf genossen und den Leuten, die alles beobachteten, ausrichten würden, dass dieses Revier Dodger gehörte, ihm allein.
Charlie nahm es hin, denn er wusste sicher: Dies waren die Slums, wo selbst die Peeler Vorsicht walten ließen und nie allein loszogen. Charlie gehörte ebenso wenig hierher wie Dodger ins Parlament – es waren zwei unterschiedliche Welten.
Eigentlich war London gar nicht so groß, wenn man genauer darüber nachdachte: eine Quadratmeile aus Labyrinthen, umgeben von weiteren Straßen, Menschen und … Gelegenheiten. Dann kamen die Außenbezirke und Vororte, die glaubten, Teil von London zu sein, aber das waren sie nicht, zumindest nicht für Dodger. Oh, manchmal verließ er die Quadratmeile – bis zu zwei Meilen weit wagte er sich über ihre Grenzen hinaus! – und schlüpfte dann ganz in die Rolle des Geezers. Er war freundlich zu allen, bei denen sich Freundlichkeit lohnte, und Geezer sprach zu Geezer. Die Geezer der Äußeren Öde, wie Dodger jene Straßen nannte, waren nicht unbedingt Freunde, aber man respektierte ihr Revier in der Hoffnung, dass sie ihrerseits das eigene Territorium respektierten. Man traf eine Vereinbarung mit Blicken, Annahmen und der einen oder anderen Geste, die kaum Worte benötigte. Aber es war alles Schau, ein
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