Dunkle Küsse: Ein Vampirthriller (German Edition)
Flasche hin. Nachdem wir beide einen Schluck getrunken haben, stellt er seine Flasche auf die Bar und wendet sich mir zu.
»Du hast recht, ganz und gar menschlich ist sie nicht. Sie nennt sich eine Wicca.«
Der Begriff verwirrt mich zunächst, doch dann fällt mir ein, was das ist. »Du meinst, sie ist eine Hexe.«
»Sie bevorzugt die Bezeichnung Wicca.«
Politische Semantik. Ich erinnere mich, dass die Wicca lieber so bezeichnet werden, weil der Begriff »Hexe« mit boshaften Assoziationen besetzt ist. Er beschwört Bilder von schwarzen Katzen und Besen herauf. »So hat sie das also gemacht? Hatte sie einen Besen draußen stehen und ist draufgehüpft? Hatte sie es vielleicht eilig, weil das Quidditch-Spiel bald anfängt?«
Falls Culebra die Andeutung versteht, reagiert er nicht darauf. Er lächelt auch nicht.
»Also schön«, sage ich. »Du bist also kein Harry-Potter-Fan. Aber Hexerei besteht doch hauptsächlich darin, nackt im Mondlicht zu tanzen und Liebestränke zu brauen, oder nicht? Sie hingegen hat dich bedroht.«
Culebra schlägt die Augen nieder. »Das ist nicht wichtig.«
Die Worte sind leise, der Tonfall beinahe gleichgültig. Doch die Luft um uns herum schimmert geradezu vor negativer Energie. Er schickt mir eine Botschaft, auf eine Art, wie er es noch nie getan hat. Er sagt mir sehr deutlich, dass ich mich zurückziehen soll. Das ist eine Drohung – aber doch nicht ganz. Ein eisiger Schauer läuft mir über den Rücken.
Ich starre ihn an, verstehe nicht und bin nicht bereit, das hinzunehmen. Als er den Blick hebt und mich ansieht, ist das seltsame Gefühl verschwunden.
»Du darfst vorerst nicht mehr hierherkommen«, sagt er.
»Was?«
»Geh nach Hause, Anna. Ich habe für dich, für deine Bedürfnisse vorgesorgt.«
»Meine Bedürfnisse? Wovon sprichst du überhaupt? Ich gehe nirgendwohin.«
Er hört mir nicht zu. »Ich werde dir Bescheid geben, wenn es sicher ist, wieder hierherzukommen.«
»Sicher? Wer zum Teufel war diese Frau?«
Ich bekomme keine Antwort. Ich sehe ihm direkt ins Gesicht.
Dann plötzlich nicht mehr. Weil Culebra von einem Augenblick auf den anderen verschwunden ist.
Kapitel 10
G enau wie die Frau vor ein paar Minuten ist Culebra einfach weg . Er hat nicht nur eine andere Gestalt angenommen. Eine Schlange müsste ich sehen. Er ist verschwunden. Ich bin so erschüttert, dass ich ein paar Minuten brauche, bis ich von dem Barhocker aufstehen und den Saloon durchsuchen kann. Er ist in keinem der Hinterzimmer.
Könnte er in den Höhlen sein?
Mir war nicht bekannt, dass auch die Teleportation zu seinen vielen Talenten gehört.
Andererseits habe ich ja gerade selbst gesehen, wie ein Mensch genau dasselbe getan hat, nicht wahr?
Der Pfad vom Saloon zu den Höhlen erstreckt sich vor mir wie ein staubiges Band. Ich bin ihn schon hundert Mal gegangen. Es ist helllichter Tag. Warum erscheint er mir jetzt so bedrohlich?
Ich schlucke meine Furcht hinunter und zwinge mich, auf den Höhleneingang zuzugehen. Es ist unheimlich still. Keine Insekten summen, kein kleines Getier bringt sich huschend vor mir in Sicherheit. Selbst das Brummen des Generators von Culebras Bar ist verstummt. Als ich den Eingang erreiche, rufe ich nach ihm.
Ich bekomme keine Antwort, weder von Culebra noch von sonst jemandem. Weil überhaupt niemand in den unterirdischen Gängen ist. Es gibt nicht einmal einen Hinweis, dass jemals irgendwer in diesen Höhlen war .
Ich ertappe mich dabei, dass ich in der tintenschwarzen Dunkelheit auf Zehenspitzen von einer unterirdischen Kammer zur nächsten schleiche. Die Panik ist mir so nahe, dass sie mir wie ein Gespenst auf der Schulter hockt. Sogar die medizinischen Vorräte sind weg, die improvisierte kleine Klinik ist nicht mehr als eine felsige Höhle. Dieser Ort ist eine Zuflucht für jene, die unter Culebras Schutz stehen. David wurde hier gerettet. Es sind immer etwa zwanzig Flüchtlinge hier, die sich vor menschlichen oder übernatürlichen Bedrohungen verstecken. Wie hat Culebra es geschafft, alle fortzubringen? Wohin hat er sie geschickt? War Max bei ihnen, als das passiert ist?
Die Luft ist plötzlich erstickend und drückt wie ein schweres Gewicht auf meine Brust. Sie ist feucht und faulig und sickert in meinen Kopf ein wie ein betäubender Nebel, bis ich nicht mehr klar denken kann.
Ich muss hier raus. Der Geruch von Mesquiten und Beifuß und dem trockenen Staub der Wüste zieht mich an wie ein starker Magnet. Ich renne auf den Höhleneingang zu.
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