Dunkle Küsse: Ein Vampirthriller (German Edition)
Kaliber. Wenn ich nicht an Frey denken müsste, könnte ich dafür sorgen, dass sie meinen Freunden nichts mehr tun kann. Nie wieder. Sie zu töten, sie leerzutrinken, wäre eine köstliche Rache für das, was sie Culebra und Frey angetan hat.
Die menschliche Anna kommt langsam wieder zu sich.
Als sie – als ich – ganz bei mir bin, muss ich die Augen schließen und warten, bis das Zittern aufhört. Ich habe das schon zuvor gefühlt, diese Spaltung. Ich habe dagegen angekämpft. Aber heute Nacht, als die Vampirin angegriffen hat, war Anna weg. Rationales Denken ist purem Instinkt gewichen und menschliche Emotionen dem Selbsterhaltungstrieb eines Tiers. Wenn Foley sich gewehrt hätte, hätte ich ihn getötet. Ich hätte auch Burke und jeden ihrer Anhänger getötet, wenn ich jetzt zurückgekehrt wäre. Ich habe mir nur etwas vorgemacht mit meinem Glauben, meine Menschlichkeit sei stärker als das Wesen, das meinen Körper teilt.
Das kehlige Brummen eines Motors dringt durch die stille Nacht. Ein Auto nähert sich. Die Barriere muss verschwunden sein. Als Frey und ich den Kreis gebrochen haben, haben wir möglicherweise auch diesen Zauber gebrochen.
Ich lege Frey vorsichtig hinter die Bar und ducke mich dort, um zu warten. Es könnten die Hexe und Foley sein. Wenn sie es sind, bin ich bereit für sie.
Das Auto hält direkt vor dem Saloon. Drei Türen knallen, beinahe gleichzeitig. Meine geistige Suche bringt nichts. Entweder kommen da drei Menschen, oder die Besucher haben ihre Gedanken ebenso abgeschirmt wie ich die meinen. Ich schiebe mich zum Ende der Bar vor, wo ich im Schatten verborgen bin, und spähe um die Ecke.
Die Tür schwingt mit einem Lufthauch auf.
Anna? Bist du hier?
Ich merke gar nicht, wie angespannt ich bin, bis der Klang der vertrauten Stimme eine Woge der Erleichterung durch meinen Körper branden lässt. Ich springe auf.
Williams durchquert den Saloon als verschwommener Schemen, so schnell, dass man ihn kaum sehen kann. Er packt mich an den Armen und schaut auf mich herab.
Der Ausdruck von Besorgnis auf seinem Gesicht ist so intensiv, dass meine Erleichterung der Angst weicht. »Was ist los?«
Er lässt meine Arme los, tritt zurück und errötet. Verlegenheit? Ich frage mich, warum. Weil er falsch geraten hat, was die Hexe und den Ort ihres Rituals angeht, oder weil mir gelungen ist, was er und seine Wächter nicht geschafft haben?
Ich lasse ihn meine Gedanken lesen, sehe zu, wie sich die Röte auf seinen Wangen noch vertieft, und spüre, wie die Verlegenheit zerknirschter Reue weicht. Aber ich reite nicht darauf herum. Ein Teil von mir ist ja froh, ihn zu sehen. Ein Teil von mir ist immer noch furchtbar wütend auf ihn. Auch das lasse ich ihn erkennen.
Erst jetzt bemerke ich, wen Williams mitgebracht hat. Ortiz und noch jemanden. Kein Vampir, aber auch kein Mensch.
Er tritt vor. »Ist Frey bei dir?«
Dann öffnet er mir seinen Geist. Ein Gestaltwandler.
Ja. Und er ist verletzt. Kannst du ihm helfen?
Er bedeutet mir, ihn zu Frey zu führen. Ich bringe ihn hin. Er beugt sich über Frey und legt die Hände neben den Bolzen.
Ich beobachte, wie er sacht die Wunde untersucht. Er scheint Mitte fünfzig zu sein, groß, breitschultrig, langgliedrig und muskulös. Sein Gesichtsausdruck verrät Sorge um Frey, und seine Gedanken strahlen dasselbe aus. Bevor ich fragen kann, was er vorhat, hat er den kurzen Pfeil gepackt und mit einer einzigen brutalen Handbewegung herausgerissen.
Freys Körper zuckt. Ich springe auf den Gestaltwandler zu, und ein erzürntes Knurren dringt tief aus meiner Kehle. Williams packt mich von hinten und wirbelt mich herum.
Warte. Schau zu.
Er dreht mich wieder um, so dass ich die beiden sehen kann.
Ich schüttele seine Hände ab und taumele noch immer unter der Woge von Zorn. Wenn Williams mich nicht aufgehalten hätte, wäre ich dem Gestaltwandler an die Kehle gegangen. Ich trete einen Schritt von Williams weg. Falls ich beschließe, noch einmal anzugreifen, will ich außerhalb seiner Reichweite sein.
Der fremde Gestaltwandler ist über Frey gebeugt. Er hat die Hände auf die Wunde gelegt. Frey windet sich immer noch krampfhaft, und aus seiner Kehle dringt ein Laut, der halb Schrei, halb Knurren ist. Doch er atmet. Ich sehe es deutlich. Seine Brust hebt und senkt sich mit jedem Atemzug. Binnen einer Minute wirkt seine Atmung weniger mühsam, sein Körper kommt zur Ruhe, das klägliche Winseln verstummt.
Erst jetzt zieht der Gestaltwandler die Hände
Weitere Kostenlose Bücher