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Dunkle Materie

Dunkle Materie

Titel: Dunkle Materie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aner Shalev
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meinem Bett. Ich wollte dich auf mir. Unter mir. Ich wollte mit dir alle Donner der Welt hören. Aber morgens, als du mich anriefst, als du mich fragtest, ob meine Mutter schon weggegangen und ich allein zu Hause sei, ob du auf dem Weg zum Außenministerium zu mir kommen könntest, und als du dann auf meinem Bett saßest und mit mir über die Blitze und den Donner sprachst und darüber, dass du nicht schlafen konntest, erlaubte ich dir noch nicht einmal, mich zu küssen, erinnerst du dich?
    Â 
    Vielleicht ärgerte es mich, dass ich in der Nacht genauso empfunden hatte wie du. Vielleicht ärgerte es mich, dass du Kondome gekauft hattest. Dass es dir so selbstverständlich erschienen war. Dass du dir so sicher warst, dass ich mit dir ficken würde (entschuldige das Wort). Und ich fragte mich auch, ob du mich wirklich begehrtest, oder waren es nur diese Zufälle, die dich davon überzeugten, dass es eine Art Schicksal sei, dass zwischen uns etwas passieren müsse. Vielleicht bist du wie meine Mutter und glaubst, dass es keine Zufälle gibt, dass alles einen Sinn hat, dass alles prädestiniert ist. Wenn du in das Schicksal verliebt bist, solltest du vielleicht lieber mit ihm ficken statt mit mir?
    Â 
    Ich saß damals mit dir auf dem Bett, ich erinnere mich, dass ich meinen roten Wollpullover anhatte, ich erinnere mich, wie du versuchtest, mich zu berühren, über dem Pullover unddarunter, und wie ich dich wegstieß, ich wollte wissen, wie du reagierst, ob dein Gesicht plötzlich düster würde, wenn ich zu dir sagte, du sollest die Kondome wieder in die Tasche stecken.
    Â 
    Adam, ich verrate dir ein Geheimnis. Auch ich hatte an jenem Morgen Kondome gekauft. Vielleicht war es das, was mich erschreckt hat, diese Parallelität. Vielleicht reagiere ich auf Zufälle genau umgekehrt. Für dich ist der Zufall ein Zeichen, dass etwas so sein soll. Aber mich erschreckt er, als würde ein anderer unsere Geschichte schreiben, als hätte ich keine Kontrolle darüber. Und wer weiß, vielleicht ist auch das Ende bereits geschrieben. In dem Moment, als du die Kondome aus der Tasche holtest und ich sah, dass sie sogar von derselben Firma waren wie die, die ich erst eine Stunde zuvor gekauft hatte, geriet ich vielleicht in eine Art Schock und versuchte, die Kontrolle zurückzuerobern, die Sache zu stoppen, solange es möglich war. Der Teufel in mir wollte dich quälen, und mich auch.
    Â 
    Das habe ich mit Ilja, dem Freund, den ich am meisten liebte, auch getan. In unseren ersten gemeinsamen Tagen floh ich vor ihm, weil ich dachte, dass ich ihn zu sehr liebte.
    Â 
    Wir lernten uns in Riga kennen und verbrachten fast zwei Wochen zusammen. Er wohnte mit seinen Eltern in einer Anderthalbzimmerwohnung. In meinem Zimmer im Wohnheim waren Männerbesuche verboten, sodass wir keinen Ort hatten, wo wir zusammen sein konnten. Deshalb liefen wir die ganze Nacht herum, eine Nacht nach der anderen. Ich erinnere mich, wie wir stundenlang vor dem großen Metalltor des Wohnheims standen und uns nicht trennen konnten, bis es hell wurde. Wir fuhren zusammen nach Tallinn, an die Ostsee,nur so, und ich erinnere mich, dass wir den ganzen Tag lachten, bis wir Muskelkater hatten.
    Â 
    Ich erzählte ihm alles, und unsere Themen erschöpften sich nie, im Gegenteil, sie verdoppelten sich mit jedem Wort, das wir sprachen. Ich erzählte ihm von Büchern, die ich gelesen hatte, stundenlang, ich erzählte ihm meine Eindrücke von einem Buch und hörte zu, wie er mir seine erzählte. Damals gaben wir gemeinsam eine Zeitschrift heraus. Unsere Zeitschrift. Sie war dem Thema Suppe gewidmet. Ich war damals süchtig nach Suppen. Manchmal ging ich an einem Tag in fünf verschiedene Cafeterias, nur um Suppe zu essen. Spontan entschieden wir uns, eine Nacht in Tallinn zu bleiben, dort schliefen wir sogar im gleichen Bett, aber wir liebten uns nicht. Es waren die glücklichsten zwei Wochen meines Lebens. Das Glück war so rein und unschuldig. Alles im Schnee. Weiß und glänzend. Von einem Horizont bis zum anderen Horizont. Ohne Komplikationen. Ich war damals zwanzig. Er war einundzwanzig.
    Â 
    Wir spielten mit Worten.
    Er war der kleine König und ich die Ministerin.
    Ich war Lohengrin und er der Schwan.
    Er war Rotkäppchen und ich der Wolf.
    Er war der Regenschirm und ich der Regen.
    Ich war das Einhorn und er die Jungfrau.
    Â 
    Ich musste nach Sankt

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