Dunkle Obsession
Bluse mit einem marineblauen Seidenschal, den sie mit einer Schleife um den Hals gebunden hatte, komplettierten ihr Kostüm, und die schlanken Beine steckten in undurchsichtigen blauen Strümpfen. Die hochhackigen Schuhe betonten ihre wohl geformten Waden, und nicht zum ersten Mal fragte sich Martin, warum sie kaum Freunde hatte, seit sie bei ihnen war.
»Wie soll ich junge Leute auf Leyton Hall kennen lernen?«, fragte Annabel. »Lady Corbett-Wynne ist doch nicht mehr jung, oder?«
»Nein, ich schätze sie auf Anfang vierzig«, sagte David. »Sie ist Lord Corbett-Wynnes dritte Ehefrau, recht hübsch und zierlich, wenn ich mich recht erinnere. Gute Knochenstruktur, aber nicht jung in dem Sinn, den du meinst.«
»Aber es gibt einen Sohn«, warf Martin ein. »Ich kann mich noch gut an den Ehrenwerten Crispian erinnern.«
»Es gibt auch eine Tochter im Haus«, ergänzte David. »Sie ist Lady Corbett-Wynnes Tochter. Ich glaube, nach der Heirat hat der Lord sie adoptiert, aber ganz sicher bin ich mir nicht. Mir fällt auch ihr Name nicht ein, aber sie muss etwa in deinem Alter sein. Beide Kinder leben auf Leyton Hall.«
»Es ist auch egal«, sagte Annabel. »Ich bin an solchen gesellschaftlichen Dingen nicht interessiert. Es ist die Arbeit, die mich begeistert.«
»Du solltest an mehr als nur an Arbeit interessiert sein«, sagte Martin. »In deinem Alter habe ich kaum Zeit für Arbeit gefunden. Das kam erst später, als sich die Leidenschaft abgeschwächt hatte.« Er sah liebevoll zu David, und sie lachten beide.
Annabel seufzte. Sie liebte das Paar. Sie hatten sich ihr gegenüber beide als sehr großzügig erwiesen und sie wie ein Kind aufgenommen. Aber sie wünschte, dass sie aufhören würden, sie in die Arme junger Männer zu schieben.
Es war nicht so, dass sie Männer nicht mochte, aber sie glaubte allmählich, dass sie eine geringe Langweiligkeitsschwelle besaß. Kaum hatte sie eine Beziehung begonnen, begann der jeweilige Mann, ihr den Nerv zu töten. In letzter Zeit hatte sie es erst gar nicht zu einer Beziehung kommen lassen; weil es schwierig für sie war, einem jungen Mann den Laufpass zu geben, ohne dass er sich verletzt fühlte.
»Hast du Lady Corbett-Wynne schon gefragt, ob es ihr recht ist, dass ich den Auftrag übernehme?«, fragte sie David.
»Noch nicht, aber ich habe mir das für heute Morgen vorgenommen.«
»Und du glaubst wirklich, dass ich es schaffe?«
»Wenn ich das nicht glaubte, würde ich dir den Job nicht überlassen. Du musst in Erinnerung behalten, dass du es mit einer wahrscheinlich gelangweilten Lady zu tun hast, die Geld wie Heu hat, Zeit im Überfluss und keinen Geschmack. Sie wird dir freie Hand lassen. Ist das keine Verlockung, wenn schon der Ehrenwerte Crispian keine ist?«
Annabel kicherte. »Ich muss zugeben, der Job ist die größere Verlockung.«
»Eines Tages wirst du den Irrtum deiner Lebensweise erkennen«, seufzte Martin in gespielter Sorge. »Du magst zwar alles über Stoffe, Farben und Oberflächen wissen, aber wenn es um die Freuden des Fleisches geht, bist du unschuldig wie ein Lamm.«
»Ich bezweifle, dass ein paar Wochen auf Leyton Hall mein Wissen auf diesem Gebiet vermehren werden«, rief Annabel und nahm ihre Autoschlüssel an sich. »Sage David, dass ich ihn im Büro treffe. Wir haben einen Termin mit Amanda Grant um halb zwölf. Kannst du ihn daran erinnern, bitte?«
Wenn er sich an einige Geschichten erinnerte, die er über Leyton Hall gehört hatte, bezweifelte Martin, dass Annabel mit ihrer Prognose richtig lag. Falls die Gerüchte auch nur ein Körnchen Wahrheit enthielten, würde sie als neue Frau nach London zurückkehren. Er hoffte das. Seiner Meinung nach musste sie erkennen, dass es mehr im Leben gab, als die Häuser anderer Leute in großartige Schmuckstücke zu verwandeln. Das sollte für eine hübsche junge Frau nur eine zweitrangige Befriedigung sein, fand Martin.
Zur gleichen Zeit, als Annabel sich durch die verstopften Londoner Straßen kämpfte, wachten die Bewohner von Leyton Hall allmählich auf.
In seinem Schlafzimmer im dritten Stock schlug Lord Corbett-Wynne die Augen auf und ging die Liste der Dinge durch, um die er sich an diesem Tag zu kümmern hatte. Es waren die üblichen Anforderungen, die das Anwesen an ihn stellte, aber er schätzte, dass der Hausverwalter die meisten allein regeln konnte. Doch er selbst musste seiner Frau beibringen, dass er den neuen Nachbarn am Freitag zum Abendessen eingeladen hatte. Das war keine
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