Dunkle Schatten (German Edition)
Zwei-Meter-Mann gelingt.
Keine Sekunde zu früh!
In abnormer Geschwindigkeit erhellen grelle, kurze Blitze sein Zimmer.
Die Mündungsfeuer einer schallgedämpften Maschinenpistole. Dumpf schlagen die
Projektile in den Bettrahmen, die Matratze und in das Bettzeug ein. Die Zeit
rinnt wie zähflüssiger Honig aus dem Glas. Kokoschansky hat seinen Kopf
schützend in den Armen vergraben. Die Ballerei will kein Ende nehmen. Das ist
ein Überfall! Ihm gilt dieser Überraschungsangriff nicht. Nicht einmal Robert
Saller. Dafür ist der Kroate doch zu klein und unbedeutend. Das richtet sich
gegen Madeo, der in der obersten Liga spielt. Vielleicht auch gegen Daramci ć , der bisher am undurchsichtigsten von allen dreien ist und während ihrer
Zusammenkunft den großen Schweiger markierte.
Aus allen Richtungen sind nun Schüsse und Schreie zu hören. Madeos
Leibwächter wehren sich, vereinzelt werden knappe Kommandos auf Italienisch
gebrüllt. Kokoschansky bemüht sich, die Stimmen auseinanderzuhalten, doch er
kann weder Madeos noch Sallers Stimme erkennen.
Verschiedene Einrichtungsgegenstände zersplittern, Glas geht zu Bruch.
Kokoschansky spürt einen stechenden Schmerz in seiner linken Wade, gleichzeitig
schrammt ihm ein Holzteil über eine Hand. Er beißt seine Zähne so fest
zusammen, dass sie knirschen. Plötzlich ist das Schießen ebenso schlagartig
beendet, wie es begann.
»Vamos! Vamos!«, hört er eine keuchende Stimme, dann laufende Schritte
von mehreren Personen. Die Schmerzen sind vergessen. So viel Spanisch versteht
Kokoschansky und weiß, es ist eine Aufforderung zum Verschwinden. Er kombiniert
blitzschnell. `Ndrangheta, Mafia, Drogen, Südamerika. Er ist in eine Fehde
geraten. Wäre es eine interne Mafiaauseinandersetzung, hätten sie sich in ihrer
Muttersprache Italienisch verständigt. Da draußen sind Sicarios, Berufskiller
unterwegs! Nichts wie weg, aber wie?
Totenstille. Ein riesiges Leichentuch hat sich ausgebreitet.
Sein Bein macht sich bemerkbar, und über seine linke Hand spürt er Blut
fließen. Das Bein ist momentan wichtiger. Vorsichtig tastet der Journalist zu
der verwundeten Stelle, fühlt, dass ein großer Holzsplitter in seiner Wade
steckt. Gott sei Dank keine Schussverletzung. An der Hand scheint es nur ein
gröberer Kratzer zu sein. Diese unnatürliche Stille ist beinahe noch
unerträglicher als die Schießerei.
Kokoschansky bleibt unter dem Bett, wartet ab, spürt nur seine pochende
Wade und die brennende Hand. Noch einige Minuten absolute Ruhe und Stille, nur
die Zikaden konzertieren unbeirrt weiter. Er nimmt alle Kraft zusammen, beißt
die Zähne zusammen, und mit einem Ruck zieht er den Splitter aus seinem Bein.
Sofort fließt Blut aus der Wunde.
In einiger Entfernung hört er Motorengeräusche und dann mit quietschenden
Reifen wegfahrende Autos. Auch ein Motorboot scheint im Spiel zu sein.
Zumindest bildet er es sich ein. Wieder wartet er einige Minuten ab, obwohl ihm
seine unbequeme Haltung langsam zusätzliche Schmerzen bereitet. Diese absolute
Stille ist zum Verrücktwerden. Ist er der einzige Überlebende eines Massakers?
Was muss das für ein Killerkommando gewesen sein? Was ist mit den Frauen, den
Kindern? Sind es Madeos Familienangehörige? Es wird doch noch Leute geben, die
am Leben sind?
Sind tatsächlich alle weg oder treiben sich noch einige Mörder auf dem
Anwesen herum? Es kann nur ein Killerkommando gewesen sein. Kein Einzeltäter
ist so verrückt, und nur ein potenzieller Selbstmörder würde alleine in dieses
abgesicherte Anwesen eindringen.
Er lauscht angestrengt, doch außer dem Wind und den Zikaden ist nichts
Verdächtiges mehr zu hören. Er muss hier raus, sich selbst ein Bild machen und
vor allem seine Verletzungen notdürftig versorgen. Vorsichtig lugt er unter dem
Bettüberwurf hervor. Im Zimmer hat es geschneit. Der Boden ist von den Federn
der durchsiebten Polster und der Decke übersät, dazwischen Glassplitter und
Holzteile. Das fahle Licht des Sternenhimmels verleiht diesem Bild ein
pittoreskes Aussehen. Zumindest die Typen, die sein Zimmer aufs Korn genommen
hatten, müssen sehr nervös gewesen sein. Zu seinem Glück haben sie sich nicht
überzeugt, ob ihre Schüsse erfolgreich waren.
Langsam robbt Kokoschansky aus seinem Versteck hervor, setzt sich langsam
auf. Kurzerhand reißt er ein paar Streifen aus dem Leintuch heraus, bindet sie
als Notverbände um Hand und Wade. Er stützt sich auf die Bettkante, zieht sich
langsam hoch und schafft es, sich
Weitere Kostenlose Bücher