Dunkle Schatten (German Edition)
Anzeichen, dass er willig ist, Saller zu helfen.
»Was hätte ich denn tun sollen?«, jammert Saller. »Schaff mich hier weg.
Ich muss schleunigst zu einem Arzt. In ein Krankenhaus kann ich nicht, sonst
bin ich gleich wieder verhaftet.«
Kokoschansky überlegt, ist im Zweifel, ob er Saller glauben kann, und ist
gleichzeitig entsetzt über sich selbst, wie kaltblütig und kaltschnäuzig er
sein kann. Ein Mensch liegt vor ihm, kämpft offensichtlich um sein Leben, und
es berührt ihn nicht. »Hör zu, Robert, ein wenig wirst du noch durchhalten
müssen. Ich werde mich jetzt umsehen. Wenn es mich erwischen sollte, weil sich
noch immer Killer herumtreiben, haben wir beide Pech gehabt. Außerdem will ich
endlich dieses Scheißmaterial, das ihr mir zugesichert habt. Danach packe ich
dich in ein Auto, irgendwo wird hier schon eines herumstehen. Als ich
hergebracht wurde, fiel mir ein Wegweiser auf. Ulcinj heißt der Ort. Dorthin
fahre ich dich, lade dich ab und rufe über 112 den Europanotruf. Du wirst
sicherlich über falsche Papiere verfügen. Im Gegenzug wirst du mir während
unseres Ausflugs alles, aber wirklich alles erzählen, was du weißt. Also, bleib
gefälligst bei Bewusstsein. Mehr kann ich nicht für dich tun. Du hast die Wahl.
Entweder hier abkratzen oder auf meinen Deal eingehen. Ich werde mich beeilen.
Weißt du, wo das Zeug sein kann, nach dem ich suche?«
»Madeo hat uns einiges auf einem Laptop gezeigt …«
»Nur dir oder ihm auch?« Kokoschansky deutet auf die Leiche.
»Uns beiden. Und dafür hat er einige USB-Sticks benutzt.«
»Wo?« Kokoschansky lässt nicht locker. So nahe dran und das Ziel vor
Augen.
»Ein Stockwerk tiefer«, stöhnt Saller, »dort ist ein Arbeitszimmer. Ob
Madeo hier noch andere Räume für seine Geschäfte benutzt, weiß ich nicht. Ich
habe nur dieses gesehen.«
»Überlege es dir und halt durch«, sagt Kokoschansky kurz angebunden und
verschwindet.
Seelisch ist er längst darauf vorbereitet, in die Abgründe der Hölle zu
blicken, wenn er seine Erkundungstour fortsetzt. Jetzt ist keine Zeit für
Gefühle und Emotionen, nur rationales Denken zählt. Langsam wird es hell, und
noch immer ist alles ruhig. Der Journalist hat sich vorgenommen, zuerst
sämtliche Zimmer der Villa zu durchkämmen, er muss Madeo finden. Er will diese
Fotoausdrucke. Auf keinen Fall dürfen die Bilder von Lena und seinem Jungen in
fremde Hände fallen. Noch immer schleppt er die Ingram mit sich herum. Sicher
ist sicher.
Kokoschansky will alles mit seiner Handykamera dokumentieren. Raum für
Raum, egal, was und wen er vorfindet. Die Wunde auf seiner Wade beginnt, immer
heftiger zu pochen, und zwingt ihn zu hinken. Vielleicht findet er einen
Verbandsschrank. Er fischt sein Handy aus der Hosentasche, verbindet es wieder
mit dem Akku und aktiviert es. Ununterbrochenes Vibrieren zeigt ihm an, dass er
eine stattliche Anzahl an Nachrichten erhalten hat. Doch es fehlt ihm an Zeit,
sich jetzt damit auseinanderzusetzen. Trotzdem überfliegt er das Display und
ist tief enttäuscht, dass er nichts von Lena vorfindet.
Kokoschansky hofft inständig, dass jetzt nicht die Polizei auftaucht. Die
Ballerei muss doch gehört worden sein! Dann hätte er einen gewaltigen
Erklärungsnotstand. Als Ausländer mit einer geschulterten Maschinenpistole in
der Villa eines Mafiabosses und wahrscheinlich umgeben von einem Haufen
Leichen, da würden sämtliche Beteuerungen nichts nützen.
Die Räumlichkeiten im oberen Stockwerk sind bis auf Sallers Zimmer leer.
Feudal und geschmackvoll eingerichtet, aber keine Menschenseele vorzufinden.
Langsam geht die Sonne auf und taucht die Zimmer in wunderschönes und zugleich
geheimnisvolles, mystisches Licht. Das Flair des Bösen.
Kokoschansky steigt die Treppe hinunter, betritt sein Zimmer und findet
es so vor, wie er es verlassen hatte. Er geht auf die Terrasse hinaus, die
erschossenen Wächter liegen unverändert an Ort und Stelle, wie er sie
vorgefunden hatte. Einem wurde der halbe Schädel weggepustet, dem anderen haben
die Kugeln die Brust zerfetzt. Kokoschansky schluckt, würgt und wendet sich ab,
sieht in Richtung des Pools, wo weitere drei Männer bäuchlings auf der
Wasseroberfläche treiben. Nach ihrer Kleidung, schwarze Anzüge, muss es sich um
weitere Bodyguards von Madeo handeln. Der Journalist schießt mit seinem Handy
Foto um Foto, baut darauf, dass jetzt wohl kaum jemand Sehnsucht nach ihm
verspürt und ihn orten will.
Er erreicht den zweiten Trakt der Villa, noch um
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