Dunkle Schatten (German Edition)
Stahltor, beinahe wie die Ein-
bzw. Ausfahrt eines Gefängnisses, oben mit Stacheldrahtrollen bewehrt. Gleich
daneben steht ein kleines Haus, das sicherlich für die Wächter bestimmt ist.
Vor dem Eingang liegen fünf Hunde. Zwei bullige, schwarzbraune Rottweiler, ein
schlanker, schwarzer Dobermann und zwei Kraftpakete von hellen Mastiffs. Sie
rühren sich nicht, als Kokoschansky langsam auf sie zurollt. Die Tiere sind
tot, und ein Schwarm Schmeißfliegen surrt über den Kadavern. Er steigt aus,
lässt den Motor laufen. Die Hunde müssen vergiftet worden sein, er kann keine
Schusswunden entdecken.
Vorsichtig betritt er das Haus, merkt erst jetzt, dass er auf die Ingram
vergessen hat, aber wenn die vierbeinigen Wächter tot sind, wird ihn drin nicht
das blühende Leben empfangen. In dem ebenerdigen Haus laufen tatsächlich die
Fäden zusammen. Kokoschansky wundert sich nicht, dass er mit
Überwachungselektronik auf dem allerletzten Stand konfrontiert ist, und es
schreckt ihn auch nicht mehr, weitere vier ermordete Männer vorzufinden, alle
mit präzisen Kopfschüssen umgebracht. Wahrscheinlich gehen diese Morde sogar
auf Daramci ć s Konto, bevor er den Killertrupp hereinließ und sich selbst für die Zeit
des Massakers aus dem Staub machte.
Verschiedene Leitungen sind gekappt. Obwohl es Kokoschansky nicht
aufgefallen ist, werden sicherlich auch in der Villa Überwachungsmonitore installiert
sein. Ein Regal interessiert ihn besonders. Hier sind Videobänder gestapelt,
penibel datiert. Die letzten Aufzeichnungen stecken noch in den Recordern.
Kokoschansky sammelt sie Band für Band ein, nimmt auch die Stöße der letzten
zwei Monate aus dem Regal. Gerne hätte er alle mitgenommen, aber wie soll er
sie transportieren? Noch schwieriger wird es, das Material in den Flieger zu
bekommen. Doch darüber macht er sich jetzt noch keine Gedanken. Irgendwo wird
er sich eine sehr große Reisetasche kaufen müssen.
Kokoschansky verstaut seine Schätze im Auto, probiert am Tor, ob es sich
öffnen lässt. Problemlos lassen die Flügel sich aufziehen, kein Alarm ertönt.
Bevor er endgültig abfährt, wirft er die Ingram achtlos in den Hauseingang. Den
Trommelrevolver behält er noch.
Diese Karre zu lenken, ist für einen Zwei-Meter-Mann wie Kokoschansky
eine wahre Tortur. Immer ist ein Körperteil im Weg. Tief gebückt hockt er
hinter dem Lenkrad, um halbwegs durch die Windschutzscheibe sehen zu können.
Daher fährt er auch wie auf rohen Eiern. Jetzt bloß nicht in eine
Polizeikontrolle geraten.
Er hat keine Ahnung, in welche Richtung er fahren muss, er vertraut
einfach auf seinen Instinkt und seinen Orientierungssinn. Endlich taucht ein
Wegweiser nach Ulcinj auf und kurz danach auch einer für Podgorica. Es sind
tatsächlich geringe Entfernungen.
Kokoschansky wird in Ulcinj den Fiat Uno stehen lassen, sich ein Taxi
ordern und damit zum Flughafen fahren. Das ist sicherer. Das viele Geld und die
Videobänder durch die Sicherheitsschleusen zu bringen, bereitet ihm
Kopfzerbrechen. Zwar riskant, aber wenn alle Stricke reißen sollten, dann kann
er immer noch versuchen, die Beamten zu schmieren. Es wäre fatal, wenn am
Flughafen plötzlich sein Material beschlagnahmt werden würde.
Langsam fährt Kokoschansky über einen Hügel. Vor ihm liegt das Städtchen
Ulcinj. Er bleibt am Straßenrand stehen. Während der Fahrt ist seine innere
Anspannung zusehends verschwunden. Der Journalist blickt in den Rückspiegel,
weit und breit niemand zu sehen. Kurzerhand öffnet er das Fenster, nimmt den
Revolver aus dem Handschuhfach und schleudert die Waffe einen Abhang hinunter.
Er spürt seine Wade kaum mehr, und auch die Operationswunde bleibt friedlich.
Kokoschanskys Mund ist völlig ausgetrocknet, und trotz der vielen schrecklichen
Bilder, die in seinem Kopf herumspuken, knurrt sein Magen. Auch seine
Zigaretten gehen zur Neige. Zeit, sich ein Lokal zu suchen und danach einen
Laden, wo er eine Reisetasche kaufen kann. Vielleicht findet sich auch eine
Apotheke, wo er sich für den Notfall mit Schmerztabletten versorgen kann.
Ulica-Rruga, Majka-Tereza, Nëna-Terezë entziffert Kokoschansky. Die
Ortstafeln und Straßenbezeichnungen sind zweisprachig, da der
Bevölkerungsanteil der Albaner sehr hoch ist. Die südlichste Stadt Montenegros
ist nicht weit von der albanischen Grenze entfernt und hat sich zu einem
Touristenort gemausert.
Kokoschansky findet ein kleines Hotel in der Nähe des Hafens mit einem
einladenden Gastgarten und bestellt
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