Dunkle Seelen
auf, als sei ihr gerade etwas eingefallen. »Was rede ich da? Du hast recht. Hör mal, es braucht dir nicht leidzutun, Cassie. Mir tut es leid! Ich bin echt undankbar. Zieh los und amüsier dich.«
»Wirklich?« Cassie blinzelte überrascht.
»Wirklich! Es ist in Ordnung, ich könnte ... ich könnte ein wenig Zeit für mich selbst gut gebrauchen. Ehrlich, ich meine es ernst! Mach dir einen schönen Abend.«
»Wenn du dir sicher bist...«
»Natürlich bin ich mir sicher. Außerdem muss ich mich erst recht um dein Make-up kümmern, wenn du auf eine Party gehst, oder?« Isabella grinste verschlagen. » Lass uns dafür sorgen, dass du so gut wie möglich aussiehst!«
Wo sie gerade davon sprachen ... Cassie wagte kaum zu fragen. »Isabella, ich...«
»Was? Oh, ich weiß schon. Diesen Blick kenne ich.« Isabellas Lächeln wurde eine Spur gezwungener.
»Du weißt, dass ich nicht fragen würde. Es ist nur...«
»Nein, Cassie, natürlich, schon in Ordnung. Natürlich musst du dich nähren. Keine Sorge. Wirklich.« Cassie fiel auf, dass Isabella ihr nicht recht in die Augen sehen konnte. »Ich bestehe darauf. Ich hab ja schon gesagt, wir wollen, dass du so gut wie möglich aussiehst.«
»Danke, Isabella. Ich weiß es zu schätzen.«
Isabella holte tief Luft, setzte wieder eine fröhliche Miene auf und zwinkerte ihr zu. »Zur Rache wirst du dich einer kosmetischen Verschönerung unterziehen müssen, ja?«
»Ja. Rache«, murmelte Cassie. Nach dem, was sie ihrer Freundin zumutete, musste sie ihr ein gewisses Maß an Kontrolle zugestehen. »Isabella.« Cassie umarmte ihre Freundin. »Du bist ein Schatz. Unverbesserlich, aber ein Schatz.«
KAPITEL 12
Die Insel, auf der die Party stattfand, hatte ihre ganz eigene Atmosphäre - ungezwungener, weniger förmlich -, aber sie war von der gleichen dunklen, duftenden Schönheit wie die Insel der Akademie. Auch ihr kleiner Palast - das war er zumindest für Cassie — stand in der Pracht seiner Architektur und kunstvollen Einrichtung ihrem Zuhause für dieses Trimester in nichts nach. Cassie stand auf einem steinernen Balkon, eine Hand auf das warme, vergoldete Holz der Balustrade gelegt, in der anderen hielt sie einen Champagner-Cocktail. Sie schaute über den Bosporus und blickte im seidig schimmernden Zwielicht auf flutlichtbeschienene Kuppeln und Minarette, die sich vor einem indigofarbenen Himmel am anderen Ufer abzeichneten. Die Rufe der Muezzin waren deutlich durch die Abendluft zu hören. Der Anblick war so schön und auch irgendwie seltsam einsam, dass ihr das Herz in der Brust schmerzte wie der gebrochene Geist Estelles. Manchmal war es schwer, beides auseinanderzuhalten.
Hinter ihr wurden laute Gespräche geführt, gelegentlich kreischte oder lachte jemand, und das Ganze wurde
untermalt vom Pulsieren eines Basses. Es war eine schöne Party, obwohl es in dem Raum mit seinen prächtigen
Kuppeldecken und den kräftigen, dunklen Stoffen drückend heiß war. Cassie hatte Isabellas Stilettos abgestreift und genoss das Gefühl des weichen, teuren Orientteppichs unter ihren bloßen Füßen. Sie wünschte, sie könnte sich leisten, einen zu kaufen. Aber wo hätte sie ihn hinlegen sollen? Ins Fernsehzimmer im Cranlake Crescent? Grinsend nahm sie noch einen Schluck von ihrem Cocktail und spürte, wie er ihr direkt in den Kopf stieg.
Also dann, zurück ins Getümmel...
Sie machte sich nicht die Mühe, die Manolos wieder anzuziehen. Sie lief gern barfuß und hatte die Absätze nicht nötig, um größer zu erscheinen. Die Auserwählten behandelten sie jetzt mit Respekt, selbst diejenigen, die ihr keine große Zuneigung entgegenbrachten; die anderen begrüßten sie gut gelaunt und verstrickten sie in Gespräche. Sie waren alle reich, elegant und fast so auf Hochglanz poliert wie ihre priviligierten Lebensumstände. Trotzdem schien Cassie im Vorbeigehen ihre Blicke auf sich zu ziehen wie ein Magnet. Und in etlichen dieser Blicke lagen Unterwürfigkeit und sogar ein wenig Furcht. Sie stellte fest, dass sie gern eine Auserwählte war, und ein jähes Glücksgefühl durchzuckte sie ...
Eine Stimme wie geschliffenes Glas durchschnitt ihren Tagtraum. »Ah, sieh mal, wenn das nicht Bim-Bam-Bell ist. Hübsches Kleid. Was denkst du, wo sie’s her hat? Secondhand? Oder einfach geklaut?«
Cassie blieb stehen. Typisch, dass Sara versuchte, ihr den Abend zu verderben. Sie drehte sich um und funkelte die Oberstufenschülerin an, die neben Mikhail an der Theke stand und so tat, als
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