Dunkle Seelen
um- ringte ein weinendes Mädchen. Das Mädchen hockte auf dem Boden, sprang aber plötzlich auf, schlug wild um sich und scheuchte sie weg.
Cassie stürzte instinktiv vor und packte sie an den Armen. » Scht! Beruhig dich, was ist los? Was ist passiert? Hey!«
Das Mädchen wehrte sich einige Sekunden lang, doch dann schien sie Cassie beinahe im selben Augenblick zu erkennen, in dem Cassie sie erkannte.
Oh, Gott, es war Saski! Die neue Auserwählte. Cassie trat einen Schritt zurück, hielt sie jedoch weiter an den Armen fest, und starrte sie an. Zuletzt hatte sie das Mädchen kichernd in Mikhails Armen gesehen, auf dem Weg zum Anlegesteg, um mit ihm »Studien« in den Nachtklubs anzustellen.
»Ganz ruhig«, flüsterte sie dem schluchzenden Mädchen zu. »Beruhig dich!« Dann wandte sie sich den gaffenden Horden zu und stellte fest, dass keine anderen Auserwählten anwesend waren. Ah, kein Wunder, dass sie so neugierig umringt wurden. Cassie atmete tief durch, nahm die Schultern zurück und machte sich widerstrebend ihre Autorität als Auserwählte zunutze.
»Okay, Ende der Vorstellung. Geht weiter, lasst sie in Ruhe. Seht ihr denn nicht, dass sie ganz außer sich ist?« Sie funkelte diejenigen, die nur widerstrebend Folge leisteten, an. »Im Ernst, es geht euch nichts an. Wir werden das regeln.« Die meisten schienen zu verstehen, wen sie mit »wir« meinte. Dabei war Cassie sich nicht einmal sicher, ob die Auserwählten irgendetwas tun konnten, um Saski zu helfen. Trotzdem reichte ihre Ansage, um sie zu verscheuchen. Murrend verteilte sich die Menge auf ihre Zimmer. Ohne auf die gehässigen Kommentare zu achten, die in ihre Richtung geflüstert wurden, half Cassie dem hysterischen Mädchen auf die Beine und zog sie in eine Nische.
»Was ist los, um Himmels willen? Hey! Immer mit der Ruhe, Saski. Ich werde versuchen, dir zu helfen!«
Das Mädchen schnappte nach Luft, schniefte und rieb sich die Augen. Endlich verebbte das Beben ihres Kör- pers so weit, dass sie etwas Verständliches von sich geben konnte.
»M-Mikhail!«
»Mikhail?« Cassie kniff die Augen zusammen. »Was ist mit ihm? Was hat er dir angetan?«
»Nichts! Er wird niemals wieder etwas tun! Oh mein Gott. Oh mein Gott. Er ist tot!«
Cassie stockte der Atem. Sie zog das Mädchen fester an sich und spürte das Hämmern ihres Herzens. »Was? Erzähl keinen Blödsinn. Du hattest einen Albtraum...«
»NEIN! Er ist tot. Er ist tot!« Die Stimme des schluchzenden Mädchens war jetzt nicht mehr als ein Flüstern. Cassie strich ihr über den Kopf und versuchte, sie zu beruhigen. Schließlich konnte sie weitererzählen. »Ich bin heute Morgen in sein Zimmer gegangen. Und da war gerade die P-Polizei eingetroffen, und... s-sein Mitbewoh-ner ist jetzt bei Sir Alric.«
Mehr war nicht aus Saski herauszubekommen. Ihre Tränen flossen wieder zu stark. Cassie bemerkte, dass einige Lehrer herbeieilten, und im Hintergrund entdeckte sie den schweigenden Marat. Schließlich löste Madame Lefevre, die sich viel besser als Cassie auf Umarmungen und Trost verstand, Saski aus ihren Armen und brachte sie weg.
Cassie wandte sich benommen an Chelnikov. »Ist das wahr? Mikhail ist tot?«
Der Ausdruck in den steinernen blauen Augen des Chemie- und Physiklehrers verriet nichts. »Darüber werden Sie mit Sir Alric reden müssen. Es steht uns nicht frei, die Angelegenheit zu erörtern. Also, Miss Bell, ich schlage vor, dass auch Sie in Ihr Zimmer zurückkehren.«
Cassie holte Luft, um zu protestieren, besann sich jedoch eines Besseren. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Was hätte es gebracht, wieder auf ihren Rang als Auserwählte zu pochen? Sie brauchte ein wenig Ruhe und Frieden, um nachzudenken. Nickend tat sie wie geheißen, während ihre Gedanken sich überschlugen. Als sie die schwere Tür zu ihrem Zimmer schloss, sich dagegenlehnte und einen zittrigen Seufzer ausstieß, war Isabella wach. Sofort wollte sie wissen, was es mit all dem Aufruhr auf sich hatte.
»Er ist was?« Die Stimme ihrer Mitbewohnerin zitterte.
»Tot«, sagte Cassie und schluckte vernehmbar. »Das hat jedenfalls Saski gesagt.«
»Das ist doch lächerlich. Nein. Das ist verrückt.«
Cassie schüttelte den Kopf, dann rieb sie sich den Nasenrücken. »Anscheinend nicht. Ein paar Lehrer wissen wohl schon Bescheid. Es ist... es ist unfassbar.«
»Mehr als unfassbar. Hat Saski denn nichts weiter erzählt?«
»Sie konnte nicht, sie war hysterisch.« Cassie spürte, dass sie sich
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