Dunkle Seelen
selbst in Richtung Hysterie bewegte. Wenn Mikhail tot war und Yusuf verschwunden, dann war Ranjit... dann war Ranjit... »Nein«, murmelte sie, halb zu sich selbst. »Nein, es geht ihm gut. Es geht ihm immer gut.«
Keins der beiden Mädchen machte sich die Mühe, sich zu schminken. Binnen zehn Minuten waren sie und Isabella zum Frühstück im Speisesaal, zusammen mit dem Rest der Schule, wie es aussah. Erregtes, entsetztes Stimmengewirr erfüllte den Raum.
»Es ist der Fluch. Das ist es.«
»Ich werde es meinen Eltern sagen müssen. Sie werden ausflippen, wenn sie das hören.«
»Der Unterricht fällt aus. Wie gewöhnlich. Endlich etwas Zeit, um ein wenig einkaufen zu gehen...«
»Torquil!«
»Verdammt noch mal, hast du gehört...?«
»Ich konnte ihn nie leiden, aber wie schrecklich. Arme Saski.«
»...Fluch, ich sage es euch. Der Fluch der Dark Academy.«
Cassie versuchte, nicht auf die Spekulationen zu achten, während sie und Isabella sich zu Alice an den Tisch setzten.
»Hast du gehört, was passiert ist?«, fragte Isabella und griff tröstend nach Alice’ Hand. Alice wirkte noch schwerer erschüttert als einige der anderen - aber andererseits hatte sie erlebt, wie ihre eigene Mitbewohnerin, eine Auserwählte, vor nicht allzu langer Zeit unter rätselhaften und abscheulichen Umständen ums Leben gekommen war. Glücklicherweise wusste sie nicht, dass Cassie für Keikos Tod verantwortlich war. Cassie hatte sich gegen das außer Kontrolle geratene japanische Mädchen verteidigt, als es versucht hatte, sie zu erstechen ... Cassie schauderte und versuchte, nicht daran zu denken, für den Fall, dass man ihr ihre Schuldgefühle ansehen konnte.
»Ja. Allerdings nur die nackten Tatsachen. Im Grunde haben sie uns überhaupt nichts erzählt.«
Jemand legte Cassie eine Hand auf die linke Schulter: India. Die Auserwählte wirkte verhalten und beinahe verängstigt. Cassie stand auf und ließ sich von ihr zur Seite ziehen. Dabei bemühte sie sich, Isabellas spitzen Blick zu ignorieren. Sie brauchte alle Informationen, die sie bekommen konnte, jede Einzelheit konnte helfen. Helfen, ihn zu finden.
»Sie haben ihn heute Morgen um fünf Uhr gefunden«, murmelte India, während sie sich auf eine Bank im Innenhof setzten. »Unten am Goldenen Horn, am Hafen. Gott weiß, wie er dort hingekommen ist. Wir sind in Be- yoglu von ihm getrennt worden, aber wir haben uns keine Sorgen gemacht. Uns war es wichtiger, Saski nach Hause zu bringen, weil sie zu betrunken war, um noch stehen zu können.Wir hätten nie gedacht, dass Mikhail...«
»Nein«, sagte Cassie. »Natürlich nicht. Er war einer von... einer von uns. Gott, was um alles in der Welt ist passiert?«
»Niemand weiß es. Sie halten die Einzelheiten unter Verschluss.«
Darauf möchte ich wetten, dachte Cassie grimmig. Bei Keiko war es schließlich genauso gewesen. Plötzlich sah sie im Geiste lebhaft das Bild Marats vor sich, wie er unten in der Dunkelheit ein weißes Laken über Keikos ausgetrocknete Überreste warf. Und hatten sie zuvor nicht die schreckliche Ermordung von Jess vertuscht? Wahrscheinlich war Sir Alric genau in diesem Moment damit beschäftigt, die Istanbuler Polizei zu schmieren...
Jemand tauchte hinter ihr und India auf und beugte sich zwischen ihnen vor, die Hände nervös verschränkt. Antonio ein Auserwählter aus ihrer Parallelklasse. Sie kannte ihn nicht besonders gut, doch er war relativ freundlich.
»Notfalltreffen nach dem Frühstück, Cassie, India. Könnt ihr kommen? Es ist wichtig.«
»Das würde ich auch sagen.« Cassie bedachte ihn mit einem schiefen Blick, dann sah sie India an. »Natürlich komme ich.«
»Und ich ebenfalls«, fügte India hinzu.
»Gut. Im Gemeinschaftsraum, zehn Uhr. Wir sehen uns dort.« Er ließ sie stehen und ging auf zwei weitere Auserwählte zu.
Er wirkte geschäftig und effizient. Er musste alle Auserwählten informiert haben, denn als Cassie im Gemeinschaftsraum eintraf, waren alle versammelt. Niemand schien zu fehlen - bis auf Mikhail natürlich.
Und Yusuf, dachte sie mit einem beklommenen Schaudern.
Und Ranjit...
Sie spürte eine Welle von Freundlichkeit hinter sich und musste sich nicht erst umdrehen, um festzustellen, dass es Richard war. Sie seufzte. Trotz der Umstände musste sie sich eingestehen, dass es sie ein wenig erleichterte, ihn in ihrer Nähe zu haben.
»Hey«, murmelte sie.
»Cassie.« Seine Stimme war ernst.
»Was ist passiert, nachdem ich gegangen bin, Richard?« Sie warf ihm einen
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