Dunkle Seelen
wehrte sie ihn nicht ab.
Cassie ließ den Brief los und er schwebte zu Boden. »Sie ist zu Alice gezogen. Nur für eine Weile, sagt sie. Um Zeit zum Nachdenken zu haben.« Sie schnitt eine Grimasse, um nicht in Tränen auszubrechen. »Anscheinend ist es nicht für immer. Es ist nur für den Augenblick.«
»Meine Güte.« Richard umarmte sie. »Zwischen euch beiden ist es in letzter Zeit ziemlich mies gelaufen, nicht wahr? Aber das ist dann doch ganz schön heftig.«
»Das kannst du laut sagen.« Cassie wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht.
»Cassie. Was ist zwischen euch beiden vorgefallen? Ging es um Jake?«
Sie nickte. »Meine Schuld. Wir haben ihm verheimlicht, dass ich mich von Isabella nähre. Als er es herausfand, bekam er einen Wutanfall und ist davongestürmt. Seither habe ich ihn nicht mehr gesehen. Offensichtlich war es für Isabella sehr hart, damit fertig zu werden.«
Schweigend saßen sie nebeneinander, während sie die Neuigkeiten verdauten. Schließlich seufzte Richard und rieb sich mit einer Hand über die Schläfe.
»Du hast ihn seither nicht mehr gesehen?«
»Was?«
»Du sagtest, du hättest ihn nicht gesehen, Cassie. Du hast das Wort betont.«
»Ja«, bekannte sie kleinlaut. »Das ist das Problem. Jake ist in Istanbul.«
Richard erstarrte. Sie spürte, wie seine Muskeln sich praktisch verkrampften. »Er ist was? Was hat er in Istanbul zu...«
»Er ist hier. Ich habe ihn nicht gesehen, aber Dark weiß es mit Bestimmtheit. Und ich denke...«
»Langsam, langsam.« Richard war immer noch gespannt wie ein Flitzebogen. »Du denkst, Isabella trifft sich mit ihm?«
»Ich bin mir ziemlich sicher. Und sie hält es geheim. Welchen anderen Grund hätte sie dafür, als dass ...«
»Oh, allmächtiger Gott.« Richard ließ sie los, stützte den Kopf in die Hände und fuhr sich mit den Fingern hastig durchs Haar. »Jessica, Ranjit, die Auserwählten, Rache … schon gut, Cassie, ich kapiere es. Ich bin nicht so dumm wie ich mich gebe.«
»Dann erklär es mir.« Cassie starrte auf ihre Hände hinab und verkrampfte die Finger ineinander. »Hat Sara vorhin die Wahrheit gesagt? Darüber, wer bei meiner Initiation dabei war?«
»Ja. Ja, sie hat die Wahrheit gesagt.«
»Also, wenn Jake das irgendwie ebenfalls herausgefunden hat...« Cassie legte sich für einen Moment eine Hand über den Mund. Ihr war übel. »Er könnte versuchen, es so aussehen zu lassen, als sei ich für die Morde verantwortlich.«
»Oh, ich bitte dich. Ich glaube nicht, dass er etwas mit den Todesfällen zu tun haben könnte.«
»Ich will es selbst nicht glauben. Aber warum hält er sich dann versteckt, verdammt noch mal?« Sie warf ihm einen trostlosen Blick zu.
»Du vermutest, dass Isabella ihm hilft?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie es nicht tun würde«, erwiderte Cassie kläglich. »Sie liebt ihn.«
»Und wenn Liebe im Spiel ist, setzt unser Verstand aus.« Richard schwieg einen Moment. »Was für ein Schlamassel.«
Cassie sah sich noch einmal in ihrem Zimmer um - das jetzt ein Einzelzimmer war — und spürte heiße Tränen auf ihrem Gesicht. »Was soll ich tun?«
»Sie wird sich schon wieder einkriegen. Sie ist in Ordnung, unsere Bella Isabella. Und sie kann niemandem lange böse sein.«
»Das ist es nicht. Ich meine, das ist es nicht nur.«
»Oh.« Erschrocken legte Richard ihr sachte einen Finger ans Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich. »Wann hast du dich das letzte Mal genährt?«
»Es ist ziemlich lange her«, gestand sie ihm unglücklich. »Als die Party auf der anderen Insel stattgefunden hat. Und auch da nicht besonders lange.«
»Okay.« Er tätschelte ihr sanft das Gesicht, beugte sich vor, um sie auf die Wange zu küssen, und stand dann schnell auf. »Gegen eine Menge Dinge kann ich nichts tun, Cassie, aber es gibt etwas, das ich regeln kann. Du brauchst dich dafür auch nicht lange dankbar zeigen. Nur zwei oder drei Jahrhunderte vielleicht, wirklich, Süße. Ja, ich kann dir, was das betrifft, definitiv konkrete, wohlschmeckende Hilfe zukommen lassen...«
KAPITEL 19
Nervös klopfte Cassie einmal leise an die Tür und zog dann ihre Hand schnell zurück. Sie knabberte an ihren Fingernägeln und betrachtete ängstlich die polierte Plakette.
RICHARD HALTON-JONES
PEREGRINE HUTTON
Lautlos wurde die Tür einen Spalt breit geöffnet, sodass sie zuerst seine Hand und erst dann sein Gesicht sah. Richard zwinkerte ihr verschwörerisch zu, legte einen Finger an die Lippen und zog die Tür
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