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Dunkle Seelen

Dunkle Seelen

Titel: Dunkle Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Poole
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warf es nach ihr. Obwohl sie das Tier um eine Meile verfehlte, flatterte es mit einem entrüsteten Flügelschlagen davon. In der neuerlichen Stille ließ sie sich wieder zurück in die Kissen sinken. Dann begann ein Muezzin von einem Minarett auf dem Festland zu rufen. Ein weiterer fiel mit ein. Stöhnend zog Cassie sich das Kissen über den Kopf.
    Eine Stunde zuvor hatte sie gehört, wie Isabella das Zimmer verlassen hatte. Aber sie hatte einfach nicht die Kraft aufbringen können, sich mit ihrer Mitbewohnerin auseianderzusetzen. Daher hatte sie die Augen nicht geöffnet und regelmäßig geatmet, sodass Isabella untypisch schweigsam aufgebrochen war. Sie hatten beide gewusst, dass die andere wach war, hatten aber den äußeren Schein gewahrt.
    Dabei war Isabella gestern nicht gerade früh zu Bett gegangen. Ganz im Gegenteil hatte Cassie gehört, wie sie zu später Stunde ins Zimmer geschlichen war. Wahrscheinlich hatte Isabella auch da gewusst, dass Cassie noch wach war. Doch genau wie heute Morgen hatten sie beide sich verstellt. Seit ihrem bitteren Streit hatten sie kein Wort mehr miteinander gewechselt.
    Und heute früh war ihre Mitbewohnerin ohne ein Guten Morgen verschwunden. Cassie richtete sich auf und fuhr sich elend mit den Händen durchs Haar. Seit wann ging Isabella so zeitig zum Frühstück? Die ganze Situation war unerträglich.
    Es hatte keinen Sinn, noch länger im Bett zu bleiben. Solange ihr derart der Kopf schwirrte, würde sie keinen Schlaf mehr finden. Auch den Muezzin und den Vögeln konnte sie nicht die Schuld geben. Auf dem Weg zur Dusche wurde Cassie klar, warum sie heute alle morgendlichen Geräusche hasste. Sie vermisste Isabellas Schnarchen, ihr Ächzen und das laute Gähnen, wenn sie erwachte, sie vermisste ihr fröhliches morgendliches Gemecker über die gottverlassene Stunde — auch wenn es nur für einen einzigen Morgen war.
    Während sie mit schwerem Herzen zu ihrem Mathekurs trottete, fühlte Cassie sich einsamer als je zuvor. Niemand schien mit ihr sprechen oder neben ihr sitzen zu wollen; niemand schaute ihr auch nur in die Augen. Vielleicht wurde sie langsam paranoid, aber außer Herr Stolz’ Gesicht konnte sie kein weiteres freundliches mehr im Raum entdecken. Zumindest bis Richard, Ayeesha und Cormac hereinkamen. Auch die anderen Auserwählten ignorierten sie.
    Zumindest wenn sie an ihr vorbeiliefen. Hinter ihrem Rücken tratschten sie heftig über sie.
    Das Getuschel, die heimlichen Blicke und die gemurmelten Kommentare entgingen ihr nicht. Gekicher war allerdings keins zu hören. Zumindest wurde sie also nicht ausgelacht. Und obwohl sie die Ohren spitzte, schienen die anderen bisher keine weiteren bahnbrechenden Entdeckungen gemacht zu haben.
    Herr Stolz war anscheinend über die gestrigen Ereignisse bestens im Bilde. Er schien auch zu wissen, welche Rolle Cassie darin gespielt hatte, denn er war die Freundlichkeit in Person und schenkte ihr viel zu viel Aufmerk- samkeit. Viel zu oft lächelte er ihr ermutigend zu und gab ihr mehr einfache Aufgaben, als den anderen gegen-über fair war. Doch es half tatsächlich, wenn auch nur ein wenig. Sie liebte Mathe. Sie liebte die Klarheit, Einfachheit und die Ablenkung von der Entdeckung einer glitschigen, mumifizierten Leiche vor der eigenen Tür. Gleichungen, dachte sie. Gott liebt sie. Ihr war bewusst, dass Richard sie verstohlen beobachtete, aber sie beschloss, seinen Blick nicht zu erwidern. Algebra war viel beruhigender.
    Beruhigend?
    Wie hatte sie eigentlich einmal glauben können, dass Richard auch nur im Geringsten beunruhigend auf sie wirkte? Vielleicht war es nur die Erinnerung an ihre letzte Begegnung, wie sie geendet hatte...
    Als es klingelte, hatte sie sich so sehr in den Unterricht vertieft, dass sie sein Ende bedauerte. Sie hätte heute eine Doppelstunde Mathematik gebrauchen können. Aber wieegut, dass sie endlich einmal Torvald zu fassen bekam, bevor er das Klassenzimmer verließ. Sie tippte ihm auf die Schulter, und er drehte sich mit einem solch ernsten Gesicht um, als wisse er bereits, was sie fragen wollte.
    »Hör mal, ich... ich mache mir ziemliche Sorgen um Ranjit. Weißt du etwas? Musste er verreisen oder so was?«
    Torvald musterte sie argwöhnisch. »Das Gleiche wollte ich dich fragen.«
    Cassie blinzelte. »Woher sollte ich das wissen?«
    »Hm. Zuerst dachte ich, es hätte vielleicht etwas mit den Auserwählten zu tun. Du weißt schon. Ich bin nicht immer völlig im Bilde. Ich dachte, vielleicht hat es

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