Dunkle Sehnsucht des Verlangens
worden, obwohl man die Gegend zu Pferde und mit dem
Hubschrauber abgesucht hatte. Die Rettungsteams fühlten sich von einer
schweren Bürde bedrückt, die ihnen förmlich den Atem nahm. Jeder von ihnen
wollte die Gegend so schnell wie möglich wieder verlassen.
Dayans Barriere hatte sich bewährt,
und Darius hatte sie noch einige Nächte zuvor noch einmal verstärkt. Außerdem
war es ihnen endlich gelungen, den Bus zu reparieren.
Julian wachte auf, sein Herz und
seine Lungen begannen, ihre Tätigkeit aufzunehmen, und er hörte das Geräusch
eines anderen Herzschlags dicht neben sich. Vorsichtig suchte er im Geist die
Gegend ab, um sich zu vergewissern, dass sie allein und nicht in Gefahr waren.
Dann öffnete er die Erde, damit sie den Blick auf die schwankenden Baumkronen
freigab. Die Nacht gehörte nur ihm und seiner Gefährtin. Er streckte sich
ausgiebig, und strich dabei über weiche Haut und seidiges Haar. Tief atmete er
Desaris Duft ein.
Desari. Sie war ein Geschenk,
ein Wunder, das ihm widerfahren war, damit er nie wieder allein sein musste.
Niemals wieder würde er einsam die Welt durchstreifen. Seine Finger berührten
die schwarzen, seidigen Haarsträhnen und hoben sie an seine Lippen. Wie sollte
er ihr die Wahrheit sagen? Er wäre nicht im Stande, sie jemals aufzugeben.
Julian war stark genug gewesen, sich von seinem Zwillingsbruder zu trennen und
sein Volk zu verlassen, doch er würde nicht die Kraft besitzen, sich von
Desari abzuwenden, obwohl sie in jedem Augenblick, den sie mit ihm verbrachte,
in Gefahr schweben würde. Er wandte sich ihr zu und schmiegte sein Gesicht in
ihr Haar.
Sofort reagierte Desari auf ihn,
legte ihm die Arme um den Hals und hielt ihn mit erstaunlicher Kraft fest. Er
spürte, dass sie zitterte. »Ich dachte, ich hätte dich verloren«, flüsterte
sie an seinem Hals. »Es war viel zu knapp.«
Auch Julian zog sie fester an
sich und schmiegte ihren weichen Körper an seinen. »Ich habe dir gesagt, du
sollst mir vertrauen, cara. Du hast dir völlig umsonst Sorgen gemacht.«
Er spürte Desaris Hunger ebenso
deutlich wie seinen eigenen. Sie waren beide einige Tage lang in der Erde
geblieben, während Julians Wunden ausgeheilt waren. Jetzt brauchten sie
Stärkung. Julian schwang sich als Erster in die Lüfte und stieg schnell in den
Himmel auf, um sich nach möglichen Gefahrenquellen umzusehen. Desari folgte ihm
erst, als er ihr ein Zeichen gab. Vorher schloss sie die Erde, um keine Spur
ihrer Anwesenheit zu hinterlassen.
Der Wald lag still unter ihnen,
und keine Menschenseele war zu sehen. Als Eulen kreisten sie über den Bäumen
und konnten so ein weit größeres Jagdrevier abdecken als in einer anderen Form.
Stromaufwärts, einige Kilometer von ihrem Ruheplatz entfernt, nahm Julian
plötzlich eine Bewegung wahr. Er flog ins Tal hinunter und sah sich um. Zwei
Männer bauten ein Zelt auf und lachten über einen Witz. Julian gab Desari ein
Zeichen, auf einem Baum am Flussufer zu warten. Er dagegen umkreiste die Stelle
weiter und suchte sorgfältig nach allen möglichen Bedrohungen, um sich zu
vergewissern, dass Desari in Sicherheit war. Schließlich landete er auf einem
Baum in der Nähe der Männer. Julian zog die Flügel ein und betrachtete den
Zeltplatz, während er gleichzeitig den Kopf hob, um sich vom Wind, der aus den
umliegenden Wäldern kam, erzählen zu lassen, ob sie auch wirklich allein waren.
Geduldig wartete Desari darauf,
dass Julian sich nährte. Sie beobachtete ihn. Was war es nur, das sie immer
wieder so magisch anzog? Irgendwie war es ihm gelungen, sich in ihr Herz zu
stehlen und es ganz für sich einzunehmen, bis sie schließlich nicht mehr ohne
ihn leben konnte. Doch es machte ihr nichts mehr aus. Ihr Volk stammte von der
Erde und vom Himmel ab und war ein Teil der Natur. Schon vor vielen
Jahrhunderten hatte sie gelernt, dass nur die Natur wirkliche Freiheit bot,
ihre eigenen Gesetze aufstellte und sie ebenso schnell wieder verwarf, wenn sie
nicht mehr gebraucht wurden. Man musste sich ständig den Gegebenheiten
anpassen. Wie die wechselnden Jahreszeiten, die auf- und untergehenden Sonne,
ja selbst die Erde, die sich um ihre eigene Achse drehte, veränderte sich
alles. Auch ihr Leben. Julian war jetzt ein Teil davon.
Sie beobachtete, wie er sich zu
Boden sinken ließ und wieder seine menschliche Gestalt annahm. Plötzlich spürte
Desari, dass ihr Herz einen Satz machte und Schmetterlinge in ihrem Bauch
umherzuflattern schienen, als sie seine große,
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