Dunkle Sehnsucht
vorgefallen war?
Fabian schien unbehaglich von einem Fuß auf den anderen zu treten, obwohl er nicht einmal den Boden berühr-te. »Ich dachte, du brauchst mich vielleicht«, murmelte er.
»Also habe ich dich aufgespürt. Dave hat die Ghule noch nicht gefunden, da dachte ich, es wäre okay, ihn allein zu lassen ...«
»Was meinst du mit >aufgespürt«, unterbrach ich ihn, bemüht, meine Stimme ruhig und nicht vorwurfsvoll klingen zu lassen. Fabian sah jetzt schon aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen, falls das bei Geistern überhaupt möglich war. Aber wenn Dave etwas zustieß, weil Fabian nicht da gewesen war, den er hätte losschicken können, um Hilfe zu holen ...
»Er meint, du bist zu einer Art Geistermagnet geworden«, erklärte Bones, der inzwischen auch eingetreten war. »Dutzende von ihnen sind dir von New Orleans bis zu Tepeschs Anwesen gefolgt, und hierher auch. Vermutlich hat Mencheres sie irgendwann weggeschickt, sonst wärst du unten in der Zelle mit ein paar von ihnen aufgewacht.«
Mencheres zuckte bestätigend mit den Achseln, während Fabian ein noch verzweifelteres Gesicht machte. »Du hast also ... zu mir gefunden, ohne dass dir jemand gesagt hat, wo ich bin?«, fragte ich den Geist ungläubig.
Als er nickte, wirkte er fast kindlich niedergeschlagen, obwohl er bei seinem Tod fünfundvierzig Jahre alt gewesen war. »Sei nicht sauer. Dave hat versucht, dich anzurufen, aber nur die Mailbox war dran, und ich hatte einfach das Gefühl , du würdest mich rufen. Ich bin ein paar Ley-Linien gefolgt, ohne genau zu wissen, wo sie mich hinbringen würden, und irgendwann war ich hier.«
Ley-Linien . Geister-Highways, hatte Bones sie einmal genannt. Mir war noch immer nicht ganz klar, wie sie funktionierten, aber ich wusste, dass Gespenster sie nutzten, um rasch von einem Ort zum anderen zu gelangen, weil sie magnetische Energie enthielten, auf der sie sich fortbewe-gen konnten. Eine Art Hochgeschwindigkeitszug für Tote, nur unsichtbar.
Und diese Ley-Linien hatten Fabian zu mir geführt, weil er das Gefühl gehabt hatte, ich würde »ihn rufen«. Ihn und, Bones' Worten zufolge, noch so einige andere Gespenster.
An Maries Blut würde ich wohl noch lange meine Freude haben, und je mehr ich über seine Wirkung erfuhr, desto bewusster wurde mir, wie tief ich in der Scheiße steckte.
Ich bin ein Magnet für Geister. Nicht mehr lange, dann wissen nicht nur die, wo ich bin , dachte ich bedrückt. Einige davon konnten Spitzel von Marie sein, und das gefiel mir nicht. Das größere Problem aber war, dass ich jetzt eine viel bessere Zielscheibe für die ghulischen Todesschwadronen abgab, die Apollyon aufhalten wollten, indem sie mich umbrachten, bevor die Spannungen zwischen den Spezies ihren Höhepunkt erreichten. Nichts rückte einen besser ins Ram-penlicht als eine Schlange von Gespenstern, die einem auf Schritt und Tritt folgte.
»Fabian, ich bin nicht sauer auf dich«, versicherte ich dem Geist begütigend, weil er inzwischen ganz aufgeregt durch die Gegend flitzte und es ja wirklich nicht seine Schuld war.
Wie sollte er auch wissen, dass in meinen Adern eine Art Gespensterlockmittel floss? »Aber ich werde deine Hilfe brauchen. Sind die anderen Geister noch in der Nähe?«
Er warf einen Blick zu den Fenstern, durch die ich wegen der hellen Beleuchtung im Haus und der Dunkelheit drau-
ßen nicht gut sehen konnte. Erst recht, da ich ohnehin nach transparenten Gestalten Ausschau hielt.
»Ja.«
Und weil sie so nahe waren, konnten sie alles hören, was ich sagte. Ich brauchte Fabian nicht als Vermittler.
»Na dann wollen wir mal ...«, seufzte ich und verließ das Zimmer auf der Suche nach der Haustür. Nachdem ich Fabian nun schon fast ein Jahr kannte, wusste ich, dass es einem bei seinesgleichen eine Menge Pluspunkte einbrachte, wenn man ihnen, einer Spezies, die für gewöhnlich ignoriert wurde, mit demselben Respekt begegnete, den man auch den Lebenden - oder Untoten - entgegengebracht hätte.
Bones folgte mir und deutete mit resigniertem Gesichtsausdruck nach links. Wenigstens wollte er sich wegen meines Vorhabens, das er offenbar schon durchschaut hatte, nicht mit mir anlegen. Ich ging durch die Haustür und sah auch schon die vielen durchscheinenden Gestalten um die Bäume am Ende der Einfahrt herumwimmeln. Andere Häuser waren nirgends zu sehen, aber ich hatte schon oft bei Mencheres Station gemacht und konnte mir daher denken, dass ich mich in einem der großen und abgelegenen
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