Dunkle Sehnsucht
dieses komische Geister-Juju von Marie, all die Verrücktheiten, die sich meine Mutter in den Kopf setzt, und selbst die Trauer über die tödliche Krankheit meines Onkels. Das Einzige, worüber ich nie hinwegkommen könnte, wäre, dich zu verlieren. Du hast mir das Versprechen abgenommen weiterzuleben, wenn das geschehen würde, aber Bones ...« Tränen liefen mir über die Wangen, als ich mühsam weiterzusprechen versuchte. »... das würde ich nicht wollen.«
Er hatte neben dem Bett gestanden, sich aber in meine Arme geworfen, bevor meine erste Träne fiel. Sehr sanft glitten seine Lippen über die feuchten Spuren und färbten sich dabei pink.
»Was auch geschieht, du wirst mich nie verlieren«, flüsterte er. »Ich bin für immer dein, Kätzchen, in diesem und im nächsten Leben.«
Ich spürte einen scharfen Schmerz in meinem Innern, weil ich wusste, was er mit diesen Worten versprach, und was nicht. Bones konnte mir nicht schwören, dass wir nie getrennt sein würden. Als Untote hatten wir längst keinen Anspruch auf Unsterblichkeit; wir waren nur schwerer umzubringen. Falls Bones und ich nicht eines Tages im genau gleichen Augenblick getötet wurden, würden er oder ich den Kummer über den Verlust des anderen ertragen müssen. Es war mir ernst gewesen, als ich gesagt hatte, ich würde nicht weiterleben wollen, wenn Bones tot war, aber die Vergangenheit hatte mir gezeigt, dass ich es musste. Genau wie Bones ohne mich würde leben müssen. Wie viele Feinde wir auch besiegten, wie viele leidenschaftliche Versprechen wir einander geben mochten, es war die harte Realität.
Und vielleicht war es eben diese Realität gewesen, vor der ich mich mit meinen letzten inneren Schilden hatte schützen wollen. Zuzugeben, dass ich ohne Bones unwiderruflich gebrochen sein würde, hieß, mir einzugestehen, dass es passieren würde. Eines Tages würden wir getrennt sein. Nicht aus freien Stücken, geschweige denn eigener Schuld, sondern durch die kalte, mitleidlose Schranke des Todes. Falls wir nicht Rücken an Rücken kämpfend starben, würde es so passieren. Ich hatte stets davor zurückgeschreckt, so offen wie Bones zuzugeben, dass er die tiefsten Winkel meiner Seele in Besitz genommen hatte, weil mir nichts mehr Angst einjagte, als mir diese harsche, unvermeidliche Realität einzugestehen. Nun, da es endlich so weit war, überkam mich ein ganz seltsames Gefühl der Erleichterung, das sogar noch stärker war als der Schmerz.
Meine Zurückhaltung hatte an der Wahrheit nichts ändern können, genauso wenig wie an meinen Gefühlen oder den unentrinnbaren Tatsachen. Ich hatte mir nur etwas vor-gemacht, schlimmer noch, ich brachte mich sogar um die Zeit, die Bones und ich noch hatten. Niemand kannte sein eigenes Schicksal. Vielleicht lagen noch Hunderte von ge-meinsamen Jahren vor uns. Tausende. Oder nur zehn Minuten, bis ein Meteor ins Haus einschlug, mich zu Staub zermahlte und Bones verfehlte. Man konnte nie wissen. Unsere gemeinsame Zeit war endlich, Punkt, mehr gab es dazu nicht zu sagen.
Aber jetzt hatte ich endlich verstanden, was Bones bereits wusste. Dass der Tod uns eines Tages auseinanderreißen würde hieß nicht, dass er zerstören konnte, was wir hatten.
Ich bin für immer dein, Kätzchen, in diesem und im nächsten Leben. Es gab Dinge, die selbst die furchteinflößende Schranke des Todes durchdringen konnten, und die Liebe war eins davon. Und selbst wenn der Tod mich eine Weile von Bones trennen würde - oder ihn von mir -, konnte er uns doch nicht ewig voneinander fernhalten. Nichts konnte das, und endlich war mir das klargeworden.
»Du wirst mich auch nie mehr los«, sagte ich mit einem tränenerstickten Auflachen. »Ob im Diesseits oder im Jenseits. Ich lass dir keine Ruhe, verfolge dich bis in alle Ewig-keit, wenn es sein muss, aber wir bleiben zusammen, bis die Sterne verlöschen.«
Ich hatte kaum mitbekommen, dass er lächelte, da legten seine Lippen sich schon wieder mit gemächlich brennender Intensität auf meine. Nicht die gekonnte Art, mit der er mich küsste, war es, die mir die Brust zusammenschnürte, sodass ich das Gefühl hatte, mein Herz müsste jeden Augenblick wieder anfangen zu schlagen. Es war die letzte Barriere zwischen uns, die gerade einstürzte.
»Bones«, hauchte ich, als er endlose Augenblicke später den Kopf hob. »Da ist etwas, das ich tun möchte, wenn dieser ganze Mist mit Apollyon vorbei ist.«
Als er hörte, wie ernst mein Tonfall war, wich er ein Stück zurück. »Was
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