Dunkle Sehnsucht
die womöglich einmal stärker sein werden, als alle, die an einen Körper gebunden sind, es je könnten!«
Verblüfftes Schweigen senkte sich über den Raum, als Fabian zu Ende gesprochen hatte. Am liebsten wäre ich gleichzeitig in Applaus und Entschuldigungen ausgebrochen, musste mich aber noch von dem Schock darüber erholen, wie mein sanftmütiger Freund sich so unerschrocken einem der furchteinflößendsten Vampire der Welt entgegengestellt hatte. Nie wieder würde ich die Chuzpe eines Gespensts unterschätzen oder seine innere Stärke in Frage stellen. Körperlos zu sein bedeutete ganz offensichtlich nicht, dass man keine Cojones hatte.
Nicht nur ich war von den Socken. Dave stand mit offenem Mund da, und Mencheres musterte Fabian auf eine Art und Weise, die erkennen ließ, dass er ihn gerade in einem ganz neuen Licht sah. Vlad indessen, der zu Beginn von Fabians Rede nur gelangweilte Verachtung zur Schau getragen hatte, starrte den noch immer halb in seiner Brust versenk-ten Finger des Geistes inzwischen forschend interessiert an.
»Wenn es mehr Gespenster wie dich gibt, die ihre beacht-liche Wut in etwas Greifbares verwandeln können, hast du recht. Geister könnten in einer Schlacht durchaus nützlich sein«, meinte Vlad mit einem Neigen des Kopfes.
Fabian erwiderte die respektvolle Geste seinerseits mit einem Nicken und zog seinen Finger und seine ganze Gestalt zurück, bis er wieder an meiner Seite schwebte. Erst wollte ich ihn abklatschen, aber das funktionierte mit Geistern nicht so gut; deshalb zeigte ich ihm dann diskret meine erhobenen Daumen. Er hatte meine Unterstützung nicht nö-
tig, wenn es darum ging, sich oder seine Spezies zu verteidigen. Ich hätte das nicht einmal halb so gut gekonnt wie Fabian selbst.
»Also schön. Falls diese Sache mit Apollyon noch schlimmer wird, ist es gut zu wissen, dass wir Geister zu unseren potenziellen Verbündeten zählen können, wenn Fabian als Vermittler zwischen seinen und unseren Leuten fungieren kann«, sagte ich, um wieder zum eigentlichen Thema zu-rückzukommen. »Dave, wo wurde diese nette Veranstaltung eigentlich abgehalten?«
Dave verzog das Gesicht. »Das wird dir jetzt gar nicht gefallen. Aus Gesprächen habe ich mitbekommen, dass Apollyon anscheinend eine Reihe von Bestattungsinstituten und Friedhöfen besitzt, in denen menschliche Marionetten als Investoren und Vorstandsmitglieder fungieren. Die Kundgebung fand hinter einem Bestattungsinstitut statt, das an einen Friedhof grenzt. Jede Menge Platz dort, und alles war mit Wachen umstellt, die jeden, der nicht auf der Gästeliste stand, ferngehalten haben.«
Verdammter Apollyon. Der kahlköpfige Mistzwerg war clever, so viel stand fest. Niemand dachte sich etwas dabei, wenn auf einem Friedhof haufenweise Leute zusammenka-men. Man würde einfach annehmen, ein reicher oder aus einer großen Familie stammender Mitbürger wäre gestorben. Aus purem Jux ging schließlich kaum jemand auf den Friedhof. Ganz abgesehen davon, dass man schon ziemlich unverfroren hätte sein müssen, um auf eine an einer Grabstätte versammelte Gruppe zuzugehen und zu fragen: »Na, was macht ihr denn da?«
Vlad stieß ein bellendes Lachen aus. »Er macht aus seinen Ernährungsgewohnheiten Geld und bekommt dazu noch ein Netzwerk sicherer Treffpunkte.«
»Er macht mit seinen Ernährungsgewohnheiten ... oh «,
sagte ich, als mir das ganze Ausmaß von Apollyons Aktivitäten klar wurde. »Er begräbt die Leichen, die ihm anver-traut werden, nicht alle, sondern isst auch mal die eine oder andere?«
»Nicht nur die eine oder andere«, warf Dave grimmig ein.
»Eine ganze Menge. Wer Apollyons Sippe angehört, entweder durch Abstammung oder als Mitglied seiner Extremis-tengruppe, bekommt sein Essen gratis. Für alle anderen, die nicht auf Jagen oder Sammeln angewiesen sein wollen, be-treibt Apollyon einen Untergrund-Supermarkt.«
Ich konnte mich zwar nicht mehr übergeben, verspürte aber dennoch einen gewissen Brechreiz. Meist aßen Ghule rohes Fleisch von Tieren. Wenigstens ein paarmal im Jahr mussten sie ihren Speiseplan allerdings um ein wenig Homo sapiens erweitern, um bei Kräften zu bleiben. Was Dave zur Nahrungsergänzung brauchte, erhielt er von Don, der dazu auf Personen zurückgriff, die ihren Leichnam der Wissenschaft gespendet hatten oder anonym in Krankenhäusern verstorben waren. Viel brauchte Dave schließlich nicht. Mit einer zerteilten Leiche auf Eis konnte ein Ghul sich leicht ein bis zwei Jahre über
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