Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
meinen Körper, der viel mehr mitgemacht hatte. Seit einem Jahr hatte ich jeden Gedanken
daran, was aus Leo und mir geworden war, so weit wie möglich von mir geschoben. Aber jetzt erschien plötzlich Macerata vor meinem inneren Auge, und ich konnte nichts anderes tun, als mich diesen Erinnerungen hinzugeben.
Das Taxi vom Flughafen war klimatisiert, aber ich wurde beinah ohnmächtig, weil ich mich so elend fühlte. Ich wusste, Leo wollte nicht, dass ich nach Italien kam, aber er war zu höflich und zu schweigsam, um es ausdrücklich zu sagen. Als wir nach unserem nicht allzu erfolgreichen Weihnachtsurlaub wieder aus Ancona abreisten, hatte er erwähnt, dass die Organisatoren der Opernfestspiele von Macerata ihn zu einem Treffen im Frühjahr eingeladen hatten. Macerata sei gut erreichbar, sagte ich daraufhin – würde er mich wissen lassen, wo er dort wohnte? Als ich es wagte, ihn anzuschauen, sah ich, dass er mich mit einem hilflosen Lächeln musterte, wie ein Vater, der dem Wunsch seines Kindes nachgibt, obwohl er es eigentlich nicht will. Er murmelte irgendetwas, aber ich konnte ihn nicht verstehen.
Diese Hitze! Der Himmel war weißblau, schon Anfang Mai. Ich bekam kaum noch Luft, als ich ausstieg, und rannte in den Schatten des mit Weinranken überwachsenen Patios, wo Leo sich ohne Hast aus seinem Korbsessel erhob und auf mich zukam, höflich wie immer. Aber gebeugt. Er war nicht mehr derselbe Mann wie vor dem gescheiterten Hotelprojekt. Als er beim Mittagessen die Sonnenbrille abnahm, um die Speisekarte zu lesen, konnte ich sehen, dass er trotz der Sonnenbräune bläuliche Ringe unter den Augen hatte. Irgendwann während der Mahlzeit schenkte er mir kurz ein Lächeln, das seinen alten Charme ausstrahlte, aber er aß fast nichts. Ein Lichtreflex von dem Wasserkrug, der auf dem Tisch stand, tanzte über sein Kinn.
»Du siehst gut aus, Rosie«, sagte er. »Deine Augen blitzen, wie immer.«
Ich verkniff es mir, ironisch anzumerken, es seien Blitze der Lust. In der Beziehung mit Leo war kein Platz für Humor oder Ironie. Und diese Begegnung wurde schnell nicht nur ernst, sondern finster. Schlimmer als finster.
»Ich werde diese Hitze bis an mein Lebensende nicht vergessen«, sagte ich oben in seinem Zimmer. Die Balkontür stand offen, und die Sonne schien auf den Parkettfußboden, der so heiß wurde, dass man kaum darüberlaufen konnte.
»Zwischen uns und den Strahlen der Sonne ist nichts – nur dieses Stück Stoff«, sagte er, als er die Vorhänge zuzog. »Wir schmelzen dahin, genau wie der ganze Planet.«
Es war meine eigene Schuld. Während wir im Bett lagen, attackierte die Sonne mich erbarmungslos. Die Brise vom Meer bewegte die Vorhänge, und sobald die Sonnenstrahlen auf meinen Arm oder meinen Bauch oder auf die Rückseite meiner Oberschenkel fielen, versengten sie mich fast. Leo hatte nicht genug Energie, um mich von meinen Qualen zu befreien. Er wand und krümmte sich, als würde er ausgepeitscht, und sein Atem ging stoßweise.
Er wollte nichts sagen, obwohl ich ihn anflehte, mit mir zu reden.
»Hör auf, Leo! Sprich mit mir! Leo, bitte, sprich mit mir.«
Das, was er früher, als es ihm noch gutging, zu seiner eigenen Befriedigung getan hatte, das tat er nun aus reiner Verzweiflung. Er versuchte, die lebendige Lust, die einmal zwischen uns bestanden hatte, mit allen Mitteln herbeizuzwingen. Wir waren eine traurige, einsame Parodie dessen, was wir einmal gewesen waren. Und ich hatte ihn dazu gezwungen. Ihm war ja klar gewesen, dass die Leidenschaft, das Begehren uns verlassen hatte. Er hatte versucht zu verhindern, dass wir ein so trauriges Ende nahmen.
Als ich abends auf dem Flughafen in einer Ecke kauerte, starrte ich unverwandt auf das Telefon. Ich hätte ihn anrufen
und ihm sagen können, dass es mir leidtat – das heißt, dass er mir leidtat und dass ich mir leidtat. Und dass ich mich schämte. Aber Leo war ein Mann ohne Worte. Im Flugzeug zog ich mir die Schlafdecke über den Kopf und weinte leise in mich hinein. Ich rief mir ins Gedächtnis, wie es sich angefühlt hatte, als Min mir zärtlich über den Kopf strich, um mir dann das warme Öl in die Ohren zu träufeln, das meine Schmerzen lindern sollte. Sie trug an dem Abend eine Baumwollschürze, und mein Gesicht wurde dagegengedrückt, als sie mich zu sich drehte. Ein halbes Jahrhundert später konnte ich mich immer noch an den Duft des sauberen Stoffs erinnern. Aber es half nichts.
Zwischen zwanzig und vierzig kannte ich keine
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