Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
erwiderte der Mann. »Muss schon ziemlich lange her sein, dass Sie das letzte Mal einen Kaminherd geputzt haben.«
Ich strahlte ihn an. »Stimmt. Ich heiße Marie Antoinette.«
Während er die Sachen ins Auto trug, ging ich ein Stück die Straße hinunter, um Sodabrot und Räucherlachs zu kaufen sowie Butter, Milch, Tee, eine Zitrone und ein paar Äpfel. Und die Zeitung, falls ich plötzlich Lust bekommen sollte, mich hinzusetzen und zu lesen.
Ich rannte zurück zum Eisenwarenladen und sagte, ich bräuchte noch zwei Holzstühle.
Der Kopf eines Verkehrspolizisten erschien in der Tür, und der Verkäufer sagte: »Keine Sorge, junger Freund, ich komme gleich – ich muss nur noch für Ihre Majestät hier die Sachen ins Auto tragen.« Und schon verschwand der Kopf wieder.
Und ich fuhr pfeifend davon.
Über Nacht schien massenhaft russischer Efeu quer über das große Tor des Trainingslagers gewachsen zu sein, deshalb kam meine Gartenschere gleich zum Einsatz. Überhaupt erwiesen sich fast alle meine Neuanschaffungen als sehr nützlich. Der Himmel war grau, von Süden her zogen immer wieder Regenschauer auf, und ich musste meine Touren zwischen Auto und Haus danach einrichten. Ich nahm mir vor, das nächste Mal zwei kleine Handkarren zu kaufen und sie in der Steinbruchhöhle abzustellen, wo ich parkte.
Ich deponierte meine Einkäufe auf den breiten Regalen in der Küche. Ansonsten erledigte ich nicht viel, außer dass ich mit der Rückseite des Kehrbesens die dicke Schicht aus Gipsstücken, Dreck und Zweigen entfernte, die an der Stelle, wo der Haselnussstrauch gewachsen war, den Fußboden bedeckte. Eine Bachstelze kam durch die offene Tür spaziert, doch als sie die Staublawine auf sich zukommen sah, ergriff sie blitzschnell die Flucht. Dann fegte ich die geräumte Fläche gründlich, wodurch Steinplatten sichtbar wurden, die so massiv waren, dass nur zwei oder drei im Lauf der Jahre Sprünge bekommen hatten. Weil der Stein direkt auf der Erde lag, war dazwischen lauter Unkraut gewachsen, allerdings nichts besonders hoch, weil im Dämmerlicht nichts besonders gut gedeihen konnte.
Mithilfe eines Messers versuchte ich, die beiden kleinen Fensterflügel zu öffnen, nachdem ich die rostigen Scharniere mit Öl getränkt hatte. Zwischendurch fiel mein Blick immer wieder auf meine Hände. So viele braune Flecken! Der Alterungsprozess meiner Haut hatte doch gerade erst begonnen, aber an vielen Stellen war sie schon dünn und runzelig und schlaff – nicht weiter tragisch, aber eindeutig nicht rückgängig zu machen. Mins Hände hatten nicht nur kleine braune Punkte, sondern richtig große Flecken, und ihr Gesicht war von einem Netz aus haarfeinen Linien überzogen, wie die Risse im Öllack eines alten Gemäldes. An ihrem letzten Geburtstag hatte ich sie gezwungen aufzustehen. Wir waren mit den anderen im Kilbride Inn verabredet, wo Min die Kerzen auf dem kleinen Geburtstagskuchen auspustete, und dann sangen wir »Happy Birthday« für sie. Sie hatte sich Make-up ins Gesicht geschmiert und den schwarzen Pullover angezogen, den sie für ein Prachtstück hielt, dazu eine Jeans von mir, die mindestens zwanzig Jahre alt war, und Min sah so dünn und drahtig aus, mit ihren wilden Haaren, irgendwie zeitlos.
Wie hatte sie selbst diesen Geburtstag wohl erlebt? Sie hatte sehr zufrieden gewirkt, ein bisschen schüchtern vielleicht, was
sie sonst eigentlich nie war. Was ging ihr wohl durch den Kopf, wenn sie an die neunundsechzig Jahre dachte, die vergangen waren, seit man sie als Neugeborene hierhergebracht und höchstwahrscheinlich auf das schmale Klappbett am anderen Ende des Zimmers gelegt hatte? Mein eigener Körper hatte sich auf Forschungsreisen begeben, als ich ungefähr fünfzehn war. In dem Alter war ich losgezogen, um andere Körper kennenzulernen. Hatte Min dazu je die Möglichkeit gehabt?
Sie war fünfzehn, als sie die Verantwortung für mich übernehmen musste. Und das war’s dann. Keine heißen Affären für Min. Kein Gekicher, keine Verlegenheit. Ihre spitzen kleinen Brüste und ihr flacher Bauch füllten und rundeten sich nie. Keine Empfängnis, keine Empfängnisverhütung.
Min bügelte fast alles, auch die bügelfreien Hemden meines Vaters. Als Reeny sie eines Tages dabei ertappte, prustete sie laut los. »Hast du schon gemerkt, Min, dass dieses Material die beste Erfindung seit der Pille ist?«
Ich dachte, dass Min fragen würde: »Welche Pille?«
Aber sie fragte nicht.
Reeny ahnte natürlich nicht,
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