Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
Furcht. Es war nicht so, dass ich jeden Mann haben konnte, den ich wollte – weit gefehlt. Aber wenn ich da war, merkte es jeder. Ich wurde beschnüffelt und erforscht, man interessierte sich für mich, auch wenn mein Gegenüber es selbst oft nicht wusste. Ein hochanständiger Mann wollte mich zu seiner Geliebten machen, als ich fünfundzwanzig war, und auch danach kam es drei- oder viermal vor, dass irgendein ganz spezieller Mensch auf mich zukam und die scheinbar attraktiveren Frauen links liegen ließ, weil er etwas Besonderes in mir sah. Keiner dieser Annäherungsversuche führte zu etwas Dauerhaftem, aber solche exklusiven Erfahrungen waren ein wunderbarer Ausgleich dafür, dass die durchschnittlichen Männer mich oft nicht wirklich zu schätzen wussten.
Und ich hörte nie auf, selbst auszuwählen. Dass ich das tat, gehörte zu meinem Leben, es war wie eine unentbehrliche Begleitmelodie, die allem zugrunde lag. Ich hatte nie eine Liebesbeziehung mit einer Frau, aber es gab durchaus Frauen, die ich anziehend fand, während andere mich nicht interessierten. Alle Leute, denen ich begegnete, maß ich mit einem raschen Blick. Die einzige Kategorie, die ich ausschloss – und ich tat dies, ohne mir dessen bewusst zu sein -, waren Menschen, die mir alt erschienen.
Und dann überschritt ich die vierzig. Das große Spiel, der spannende Austausch mit anderen definierte so klar den Sinn und Zweck meines Lebens – ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich das je ändern könnte. Schließlich rückte mein fünfzigster Geburtstag näher, und es war, als wären plötzlich die Menschenmassen aus der Arena verschwunden. Ich war allein, und alle Plätze um mich herum waren leer.
Dann lernte ich Leo kennen, und nach der Nacht im Züricher Excelsior Hotel vermischte sich die Leidenschaft mit Dankbarkeit und Erleichterung. Wie hätte es auch anders sein können? Ich hatte meine alte Rolle wiedergefunden. Ich war wieder warm und anschmiegsam und weiblich.
Und jetzt? Jetzt, ohne Leo? Wenn ich ins Kilbride Inn ging, spürte ich jedes Mal, wie sich im Lauf der Jahre mein Platz auf der Welt verkleinert hatte. Ich kam zur Tür herein, und die Männer, die am Tresen standen, schauten kurz in den Spiegel hinter den Flaschen, weil sie wissen wollten, wer kam. Wenn sie mich erblickten, schauten sie wieder nach unten und redeten unbeirrt weiter. Sie verzogen keine Miene. Sie grinsten nicht einmal. Zeitverschwendung. Es lohnte sich nicht, das Eintreten einer Frau zu registrieren, die in ihren Augen unsichtbar war.
Endlich ging Luz ans Telefon.
»Mins kleine Nichte!«, rief sie. »Na, so was! Hallo, Kindchen.«
Sie fand es toll, mit Mins Rosie zu reden. Ich könne mich wirklich glücklich schätzen mit dieser Tante, die überall für gute Stimmung sorgte, sagte sie. Als der Boss sie von der Küche nach vorne versetzte, schnellten bei allen die Trinkgelder in die Höhe.
»Also – hier ist sie, und sie sieht super aus, man würde sie am liebsten aufessen.«
»Min! Endlich!« Im Hintergrund hörte ich Geklapper und eine Kommandostimme. Erst da wurde mir richtig bewusst, dass ich nicht mit der Frau redete, die in Baileys Hütte morgens im Türrahmen in der Sonne saß. Ich hatte es mit einer viel beschäftigten Arbeiterin zu tun.
»Min, was meinst du, soll ich dir Geld für eine Urlaubsreise schicken – und danach kommst du wieder nach Hause?«
»Ach, ich hatte schon genug Urlaub«, antwortete sie. »Die Arbeit ist eine tolle Abwechslung.«
»Wenn du den ganzen Sommer bleiben möchtest, bis dein Visum ausläuft – ich habe eine Versicherung, die ich auflösen kann. Das mache ich gern. Dann könntest du in eine richtige Wohnung ziehen.«
Aber sie war mit ihrem Schicksal mehr als zufrieden. »Ich habe nichts dagegen zu arbeiten, wenn ich gut bezahlt werde. Und die Chinesen hier sind sehr angenehme Zeitgenossen, obwohl sie kein Wort von dem verstehen, was ich sage. Wir sind mit dem Bus rausgefahren, um bei einem Pferderennen zu wetten, und ich dachte, ich sehe echte Pferde, weil wir ja zu einer Rennbahn gefahren sind, aber es war schon mitten in der Nacht, nach der Arbeit. Und soll ich dir was sagen, Rosie? Die Pferde waren im Fernsehen! Sie waren in China!«
Sie verstummte schlagartig, als ich ihr von dem Brief erzählte und dass sie Stoneytown zurückbekommen hatte.
»Ich habe die Schlüssel geholt und mir alles angeschaut«, fügte ich hinzu. »Da ist kein Mensch weit und breit. Die reinste Geisterstadt.
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