Dunkle Tage
vorhergesehen. Eigentlich war es ihm nicht mal unangenehm. Zumal sie gerade guter Laune schien.
Aber da verfinsterte sich auch schon ihr Gesichtsausdruck. „Was fällt Ihnen ein, Herrn Leibold zu behelligen?“, rief sie aus. „Wie kommen Sie dazu, mich ihm gegenüber mit einem Mord in Verbindung zu bringen?“
Im ersten Moment war Hendrik wie vor den Kopf gestoßen. Tatsächlich hatte er vorhin, gleich nach dem tumultuösen Ende seiner Vorlesung, den Assistenten von Professor Planck aufgesucht, um Dianas Alibi zu überprüfen. Nur – woher wusste sie davon?
„Was gibt Ihnen das Recht, hinter mir herzuschnüffeln und mich an der Universität unmöglich zu machen?“
„Fassen Sie sich an die eigene Nase! Mein Bruder hat Ihnen untersagt, Detektiv zu spielen! Wie können Sie es wagen, seine Anordnungen zu missachten?“
Unversöhnlich funkelten die beiden sich an, bis sich auf ihren Gesichtern gleichzeitig ein verräterisches Zucken zeigte, und schließlich brachen sie in ein Gelächter aus, das einfach nicht enden wollte.
Hendrik wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „O Mann“, keuchte er, „Sie haben es mir so richtig gegeben!“
„Sie waren aber auch nicht ohne! Es gibt nicht viele Menschen, die sich rühmen können, mich sprachlos gemacht zu haben.“
Hendrik ließ sich auf einen Stuhl plumpsen. „Verraten Sie mir, woher Sie wissen, dass ich mit Professor Plancks Assistenten gesprochen habe?“
Ein spitzbübischer Ausdruck stahl sich in ihr Gesicht. „Herr Leibold geht nirgendwohin ohne seinen Hund. Und aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Fido Unmengen davon verliert.“ Sie deutete auf seinen Mantel, von dessen brauner Farbe sich eine Unzahl weißer Hundehaare abhob.
„Nicht schlecht!“
„Jetzt Sie. Warum glauben Sie, dass ich wegen dem Mord hier bin und nicht einen harmlosen Besuch mache?“
„Wenn Sie das nächste Mal einen Stadtplan zusammenfalten, damit niemand merkt, dass Sie darin geblättert haben, achten Sie darauf, es nicht gegen die Falzrichtung zu tun. Und lassen Sie die Adresse der Broschecks nicht für jeden sichtbar herumliegen.“
Wieder grinsten sie sich an. Charmant, dachte Diana, besonders wenn er so schief lächelt! Ganz und gar kein ungehobelter Klotz!
Bezaubernd, dachte Hendrik, vor allem die Grübchen! Wo ist die zänkische Nervensäge von neulich? „Herr Leibold hat Ihr Alibi bestätigt. Er hält große Stücke auf Sie. Professor Planck auch, wie er mir verriet.“
„Ich hoffe, Professor Planck kann sich dazu durchringen, eine Frau als Assistentin zu akzeptieren; immerhin hat er auch Lise Meitner akzeptiert. Äh, Sie sagten eben, der Kommissar ist Ihr Bruder?“
Verlegen fuhr Hendrik sich durchs Haar und entschloss sich dann, ihr reinen Wein einzuschenken. „Im Grunde genommen habe ich ebenso wenig Recht, Nachforschungen anzustellen, wie Sie. In Wahrheit unterrichte ich an der Universität. Wenn ich ehrlich bin, verdanken Sie mein Hiersein einzig und allein einer missglückten Vorlesung.“
Sie sah ihn verständnislos an, und ehe er sich’s versah, hatte er ihr die ganze Geschichte erzählt.
„Wenn Sie nicht zur Polizei gehören – was hatten Sie dann gestern bei uns zu suchen?“
„Mein Bruder hat mich wegen einiger Spuren hinzugerufen, die mein Fachgebiet berühren. Meine Privatschnüffelei wird ihm genauso wenig gefallen wie Ihre.“
„Dann tun wir uns zusammen!“
„Sie geben nicht auf, was?“
„Niemals!“
„Wie ich schon sagte: Ich bin mehr zur Zerstreuung hier als aus Leidenschaft. Außerdem ist mein Bruder ein fähiger Kriminalist; der Fall liegt bei ihm in guten Händen.“
Sie sagte kein Wort, sah ihn nur an.
„Ich gebe zu, es hat einen gewissen Reiz, Detektiv zu spielen. Aber im Grunde meines Herzens verabscheue ich es.“
Sie reagierte immer noch nicht. Eine Weile verging, ohne dass ein Wort fiel.
„Mein Bruder wird sehr ärgerlich sein“, murmelte er schließlich.
Diana lächelte und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Danke!“
„Ich habe nicht ‚Ja!‘ gesagt.“
„Doch, das haben Sie!“, meinte sie und grinste ihn so herausfordernd an, dass er sich geschlagen gab.
„Ich weiß zwar nicht genau, wann es passiert ist, aber vermutlich haben Sie Recht. Gregor wird mich lynchen!“ Er beruhigte sich wieder damit, dass er jederzeit aufhören konnte, wenn seine Eigenmächtigkeiten unangenehme Folgen nach sich ziehen sollten, aber allmählich hatte er den Verdacht, dass es der Ausrede eines Alkoholikers
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