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Dunkle Tage

Dunkle Tage

Titel: Dunkle Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Kunz
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Versandschuppen, vor dem Reihen gleichförmiger Straßenbahnmotoren auf ihren Abtransport warteten, und endlose Fabrikgebäude. Diana schenkte der Aussicht keinerlei Beachtung; sie überlegte fieberhaft, wo sie noch nachsehen konnte, und als ihr nichts einfiel, machte sie sich frustriert ein zweites Mal an die Durchsuchung des Zimmers, diesmal gründlicher.
    „Was suchst du hier?“
    Beinahe hätte Diana die Papiere fallen lassen, die sie eben aus einer Schublade fischte. Sie hatte Hermann nicht hereinkommen gehört. Mit aller Würde, die sie in der Eile zusammenraffen konnte, richtete sie sich auf und strich ihren Rock glatt. „Einen Hinweis auf den Mörder von Onkel Max“, erklärte sie.
    „Du hast hinter meinem Rücken das Büro durchwühlt!“
    „Natürlich! Du hättest es mir ja nicht erlaubt.“
    Ihr mangelndes Schuldbewusstsein war nicht dazu angetan, ihn zu besänftigen. „Ich hatte dir befohlen, das alberne Detektivspiel sein zu lassen“, bellte er und riss ihr die Papiere aus der Hand. „Hat dich denn niemand Gehorsam gelehrt?“
    „Gehorsame Menschen haben die Welt noch nie vorangebracht.“
    „Manchmal glaube ich wirklich, du bist erst dreizehn und keine erwachsene Frau, die wissen sollte, wo ihr Platz ist.“
    „Und wo ist, deiner Meinung nach, mein Platz?“
    „Jedenfalls nicht in der Fabrik. Ich sollte dich übers Knie legen!“
    „Versuch’s nur!“
    „Oder wegen Einbruchs verhaften lassen!“
    „Hast du etwas zu verbergen?“
    Hermann betrachtete sie von oben bis unten, als wäre sie ein ausgemustertes Stück Stahl, von dem er nicht recht wusste, ob es noch zum Einschmelzen taugte oder besser gleich verschrottet werden sollte. „Du bist ein nutzloses Anhängsel, das sich allmählich zu einer Plage entwickelt. Das geht auf keinen Fall so weiter. Ich werde darüber nachdenken, was mit dir geschehen soll.“
    „Streng deinen Kopf nicht unnötig an, Onkel Hermann! Ich werde über mein Leben entscheiden und niemand sonst. Eins steht bereits fest: So bald wie möglich werde ich euer gastliches Haus verlassen, damit nur ja nichts deine heile Welt durcheinanderbringt.“
    Wie immer war Ironie an ihn gänzlich verschwendet. „Ich muss kurz in den Telegrafenraum“, erwiderte er kalt. „Wenn ich zurückkomme, bist du verschwunden.“ Ohne eine Erwiderung abzuwarten, ging er hinaus und ließ die Tür demonstrativ offen.
    Dianas Kampflust verpuffte und machte Niedergeschlagenheit Platz. Was hatte sie erreicht, außer ihren Onkel zu verärgern? Vor allem hatte sie sich unter Zugzwang gesetzt. Jetzt musste sie sich ernsthaft mit ihrem Auszug befassen, wollte sie in ihren eigenen Augen glaubwürdig bleiben!
    Sie verscheuchte den unangenehmen Gedanken, setzte sich auf einen Stuhl und überdachte den Stand ihrer Ermittlungen. Aufgeben kam nicht in Frage. Vielleicht sollte sie ihr Augenmerk einstweilen auf eine andere Fährte richten, jedenfalls bis Hermanns Argwohn sich legte. Da war doch dieser Arbeiter gewesen, von dem der Kommissar gestern gesprochen hatte …
    Jetzt, da sie wieder ein Ziel hatte, war ihre Lethargie wie weggeblasen. Leise schloss sie die Bürotür, suchte das Arbeiterverzeichnis hervor und notierte sich die Adresse der Broschecks. Dann griff sie nach einem Stadtplan von Neukölln und suchte die Prinz-Handjery-Straße. Mit einem Bein kniete sie dabei auf dem Stuhl, mit dem anderen wippte sie schon wieder vergnügt den Takt und summte dazu: Where’s that Tiger? Hold that Tiger!
    Gerade überlegte sie, ob sie die Bahnen benutzen oder besser mit einem Taxi fahren sollte, als es klopfte. Hastig schlug sie den Stadtplan zu und nahm eine unverfängliche Position ein. „Herein!“, rief sie und war nicht wenig überrascht, Hendrik Lilienthal zu erblicken.
    „Ich … äh … oh, Entschuldigung, ich dachte …“, stammelte er.
    Seine Verwirrung half ihr, die eigene Befangenheit zu überwinden. Mit einer charmanten Geste lud sie ihn ein hereinzukommen, als sei sie die Hausherrin.
    Das Fiasko seiner Vorlesung hatte in Hendrik den Wunsch geweckt, sich abzulenken, und es ließ sich nicht leugnen, dass der aktuelle Fall seines Bruders eine gewisse Anziehungskraft ausübte. Also hatte er beschlossen, der Fabrik einen Besuch abzustatten in der vagen Hoffnung, womöglich von einem Angestellten etwas Wissenswertes zu erfahren oder wenigstens eine genaue Vorstellung von Max Ungers Arbeitsplatz zu bekommen. Dass er dabei mit dessen streitbarer Nichte zusammentreffen würde, hatte er nicht

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