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Dunkle Tage

Dunkle Tage

Titel: Dunkle Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Kunz
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für eine Ironie, dass dieses Symbol nun ausgerechnet dafür herhalten sollte, die Überlegenheit der eigenen Rasse über eben jene Völker zu dokumentieren!
    Die Regierung war geflohen, hieß es. Manche hielten es für einen klugen Schachzug, sich nicht in die Gewalt der Militärs zu begeben, viele sprachen von Feigheit.
    „Jottseidank, jetz jeht die Schiebawirtschaft zu Ende“, hörte Hendrik einen Schaulustigen ausrufen.
    Eine dicke Frau lachte über das ganze Gesicht. „Nu’ wird allet jut, sonst steicht die Butta noch uff hundert Mark det Fund.“
    Hendrik schob sich weiter. Er machte sich Gedanken um Diana. Würde sie sicher zu ihrer Tagung kommen? Konnte die überhaupt stattfinden? Er musste sie unbedingt anrufen!
    Unterdessen war er der Spitze des Trupps zum Regierungsviertel gefolgt. Die Sipo, die Sicherheitspolizei, stand verloren in der Gegend herum und wusste offensichtlich nicht, was zu tun war. Irgendwann wurde ein Befehl ausgegeben, der sie in ihre Kasernen zurückbeorderte. Friedlich zogen die Männer ab, ohne auch nur den Versuch gemacht zu haben, ihrer Aufgabe nachzukommen. Die Sipo war bedenkenlos übergelaufen. Nicht weiter verwunderlich, immerhin bestand sie aus lauter disziplingewohnten Soldaten, die nur im äußersten Notfall von ihrem eigenen Verstand Gebrauch machten. Wenn die Menschen nicht in der Lage sind, demokratische Freiheiten auszuhalten, dachte Hendrik, dann sollen sie doch die eingebrockte Suppe auslöffeln, mit allen Konsequenzen!
    Antons dahingesagte Bemerkung kam ihm wieder in den Sinn. Ist denn eine andere Welt möglich? Auf den ersten Blick eine naive Frage. Doch je mehr er darüber nachdachte, desto stärker fühlte er die Widerhaken. Gab es eine Alternative zum Lauf der Welt? Hätte eine Chance bestanden, den Putsch zu verhindern? Oder war dies alles unausweichlich gewesen?
    Den ganzen Tag über wanderte Hendrik ziellos durch die Stadt. Offiziere durchritten die Straßen und verlasen Bekanntmachungen. Die Staatsgewalt sei auf Generallandschaftsdirektor Kapp als Reichskanzler übergegangen, sagten sie. Eine neue Regierung der Ordnung, der Freiheit und der Tat werde gebildet. Als äußeres Zeichen dieser neuen Freiheit errichteten sie Stacheldrahtverhaue.
    Von Lastwagen herab wurden Flugblätter verteilt. Die neue Regierung sei angetreten, Deutschland zu retten. Deutsche Ehre und Ehrlichkeit sollten wieder hergestellt werden. Jeder Auflehnung gegen die neue Ordnung werde mit schonungsloser Entschlossenheit begegnet. Ein Versammlungsverbot war erlassen worden, das niemand beachtete. Zu aufgeputscht war auch die Stimmung.
    Die Innenstadt glich einem Heerlager. Überall Maschinengewehre und Minenwerfer, biwakierende Soldaten in ihren feldgrauen Uniformen, Offizierspferde und Feldküchen, in deren Nähe streunende Hunde herumschnüffelten. Militärkapellen spielten, um gute Laune zu verbreiten. Es war eine aberwitzige Situation, wie eine Szene aus Alice im Wunderland . Oder eher aus einem Bild von Hieronymus Bosch.
    Gerüchte liefen um; angeblich war ein Generalstreik beschlossen worden, um die Putschisten in die Knie zu zwingen. An einer Mauer hingen ein paar alte, halb zerfledderte Plakate. Das Vaterland ist in Gefahr , stand darauf. Schützt Eure Heimat! Und dann wurde die männliche Bevölkerung aufgefordert, in das eine oder andere Freikorps einzutreten.
    Hendrik ging nach Hause. Er hatte genug.
15
    Diana hörte ihren Onkel schon von Weitem schwadronieren. Zunächst glaubte sie, es ginge um den Putsch, aber sie hätte es besser wissen sollen. Hermann ließ sich zum millionsten Mal über die Unsinnigkeit der Eingemeindung aus. „Heuchler!“, dachte sie, denn natürlich kannte sie den wahren Grund für seine Ablehnung: Die Höhe der Kommunalsteuer richtete sich nach der Zusammensetzung der Bevölkerung; in wohlhabenden Gegenden wie der Villenkolonie Grunewald waren die Lasten für Volksschulen, Armen- und Krankenpflege daher gering. Unter Berücksichtigung der Steuerersparnis lebten die Ungers derzeit so gut wie umsonst. Das würde sich in einem vereinigten Groß-Berlin drastisch ändern. Diana atmete einmal tief durch und betrat das Esszimmer.
    Hermann empfing sie gleich mit einer Zurechtweisung. „Dein Verhalten ist absolut unverzeihlich“, sagte er.
    „Wovon sprichst du?“
    „Davon, dass du es nicht für nötig hieltst, zur Trauerfeier zu erscheinen. Wie immer dein Verhältnis zu Max war, es wäre deine Pflicht gewesen, wenigstens die Form zu wahren! Was für einen

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